Wie viel Wildnis brauchen Kinder?

01.03.2021

Jetzt wird’s wild!

Mädchen von hinten. Sie läuft eine Treppe zwischen Pflanzen hinauf.
© Tina Bähring

In der Natur sein, Naturerfahrungen machen, ist wichtig für Kinder. Selbstständig werden, eigene Grenzen kennen lernen, ist wichtig für Kinder. Aber Kinder alleine nach draußen in die Natur zu schicken ist unmöglich? Besonders in Städten? 

Wildnis. Früher ein Synonym für Freiheit. Heute eher mit negativen Gefühlen belegt. Zu unergründbar, zu gefährlich und viel zu wild. Vor allem für unsere Kinder. Es ist schon erstaunlich, dass man kaum noch Kinder sieht, die alleine draußen toben, alleine durch den Wald streifen, alleine mit dem Fahrrad unterwegs sind. Und das, obwohl man weiß, wie wichtig die Natur und das Selbstständigwerden für Kinder sind.

Kinder alleine Wege gehen lassen

Wenn man Kinder rundum behütet, nimmt man ihnen die Möglichkeit, sich selbst in der Welt zurechtzufinden. Denn wer alleine neue Situationen bewältigen kann, reift zu einer starken, eigenständigen Persönlichkeit. 

Ein guter Anfang für das Loslassen ist der Weg zur Grundschule. Denn auf diesem Weg lernen Kinder, die alleine laufen dürfen, nicht nur ein Gefahrenbewusstsein und Gefahrensituationen einschätzen zu können, sie bewegen sich auch in ihrer kleinen, eigenen Welt. Entdecken Regenwürmer und Käfer, erkunden einen Hinterhof, holen sich ein Eis am Kiosk. Aber unsere Elternsorge ist groß. Wir haben Angst, dass sich unsere Kinder verletzen können, dass sie entführt werden, dass jemand gemein zu ihnen ist, dass ihnen im Straßenverkehr etwas zustoßen könnte. 

Deshalb ist es wichtig, dass Kinder, bevor sie alleine unterwegs sein dürfen, den richtigen Entwicklungsstand haben. Sie sollten Verkehrs- und andere wichtige Regeln fest verinnerlicht haben. Die Kinder sollten wissen, wie und wen man um Hilfe fragen kann, falls dies nötig sein sollte. Und sie sollten laut und deutlich „Nein“ sagen können - zu Fremden genauso wie zu Freunden.

Für uns Erwachsene ist es wichtig zu akzeptieren, dass zur Freiheit immer auch ein bisschen Risiko gehört. Manchmal hilft es übrigens, an die eigene Kindheit zurückzudenken. Wie oft durfte man ohne Aufsicht durch die Wälder toben, hat man heimlich auf Baustellen gespielt, ist man über Zäune geklettert, um einen Apfel zu stibitzen? Würde man dies Erfahrungen gerne durch das Surfen im Internet oder das Zocken von Videospielen ersetzen? Durch „Play-Dates“? Durch das Spielen auf TÜV-geprüften Spielplätzen?

Schild auf Holz auf dem Kinderwildnis steht.
© Tina Bähring

Wildnis - wo bist du?

Die gute Nachricht: Natur ist überall! Es reicht der kleine, bewaldete Hang zwischen Spielplatzzaun und Häuserfront. Ein Stück Brachland. Die kleine Lücke zwischen den Hecken im Park. Wenn der Radius weiter werden darf, bieten die Wälder rund um Stuttgart alles, was ein Kinderherz begehrt. Denn, sich selbst überlassen, kommen Kinder in der Natur auf die kreativsten Ideen. Die Natur, und hier sind sich alle Studien einig, gibt Kindern Kraft und Lebenslust, fördert Empathie und Fantasie. 

„Besonders für Großstadtkinder ist Wildnis wichtig, um sich frei zu bewegen, um die Natur kennenzulernen und um sich auch mal auf Naturboden zu bewegen“, erklärt Ulrike Möhrle, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Kinderwildnis Klüpfelstraße – der bislang einzigen Kinderwildnis Stuttgarts. Hier wird die Natur sich weitgehend selbst überlassen, hier soll und darf Natur erfahren werden, hier gibt es Wiesen und Wald, einen Aussichtsturm, einen Teich und alles, was Kinder brauchen. Nämlich Erfahrungen draußen, in Freiheit. Sie müssen sich in der Natur austoben, stark und sicher werden, ihre Fähigkeiten und Grenzen kennen- und einschätzen lernen. Kinder haben ein Recht auf kleine Abenteuer.

Die Kinderwildnis findet ihr in der Klüpfelstraße im Stuttgarter Westen.