Frauen übernehmen in den allermeisten Beziehungen mehr Sorge- und Hausarbeit als Männer. Wenn Paare eine Familie gründen, verschärft sich die Situation drastisch. Nicht selten geraten Paare dadurch in einen ungünstigen Teufelskreis. Während die Frau aufgrund der Mehrfachbelastung immer unglücklicher wird, zieht der Partner sich zunehmend zurück und unterstützt weniger. Paare können prophylaktisch handeln, indem sie sich frühzeitig informieren und es absprechen, wie sie Familie leben wollen.

Die Psychologin Patricia Cammarata zeigt in ihrem neuen Spiegel-Bestseller „Musterbruch“, dass es noch ein steiniger Weg ist bis zur Geschlechtergerechtigkeit. Hinderlich ist, dass Frauen im Alltag andauernd mit traditionellen Rollenbildern konfrontiert, auf ihr Äußeres reduziert und auch im beruflichen Bereich gegenüber Männern abgewertet werden. Und paradoxerweise machen Frauen sich gegenseitig das Leben schwer, wo sie doch einiges erreichen könnten, würden sie sich untereinander solidarisieren und andere Frauen nicht dauernd als Konkurrenz sehen.

Die Autorin, die unter anderem überzeugende Bestseller zum Mental Load und Medienkonsum von Kindern veröffentlicht hat, widmet sich in „Musterbruch“ nicht nur fundiert solchen Themen, sondern sie zeigt auch alternative Wege, die langfristig Veränderung schaffen könnten und wahrscheinlich zu mehr Zufriedenheit führen. Wir haben der Autorin einige Fragen zu ihrer Neuveröffentlichung gestellt:

Liebe Patricia, wie kam es zu deinem „Musterbruch“?

Mir ist aufgefallen, dass viele Menschen denken, dass die Themen im Buch quasi Allgemeinwissen sind. In Wirklichkeit ist das weit entfernt davon. Wenn man etwas ändern möchte, muss man Worte dafür haben und die Sachverhalte und Hintergründe kennen. Es gibt viele Hebel, die man bedienen kann, um mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern herzustellen. Aus „Musterbruch“ kann sich jeder die heraussuchen, die für einen selber passend sind.

Du beschreibst in deinem Buch, wie Frauen manchmal so ungnädig einander gegenüber sind, indem sie beispielsweise andere runtermachen, die anders handeln, beispielsweise nicht stillen, die Kinder mehr betreuen lassen oder das Handy auf dem Spielplatz zücken. Das ist gut, dass du auf solche Missstände aufmerksam machst. Vergleichbare Situationen erlebe ich allzu viele…

Vielen ist das gar nicht so bewusst, weil das eine Art Kulturtechnik ist, dass man sich in einer Gruppe zusammenfindet, um über andere Gruppen zu lästern. Wenn man das aber genauer durchdenkt, ist das ein Grund, warum sich das Machtungleichgewicht so gut hält. Ich denke, dass gerade Frauen im beruflichen Kontext lernen, andere Frauen als Konkurrenz zu sehen und nicht die zahlreichen Männer. Männer sind nicht so sehr an Gleichberechtigung interessiert.

Da wäre die Solidarität unter Frauen ein großer Hebel für Veränderung. Man würde sich außerdem das Leben deutlich leichter machen, indem man aufhört, so übereinander zu sprechen, unser Aussehen zu kommentieren und unsere Standards selber so utopisch hochzuschrauben. In Solidarität unter Frauen sehe ich wirklich eine große Chance. Früher habe ich, wenn ich gefragt wurde, welche Autoren ich zu bestimmten Themen empfehlen kann, ganz oft männliche Kollegen empfohlen. Inzwischen habe ich eine feste Liste mit Frauen, die ich weitergebe.

Wie kann man denn Männer für Themen der Gleichberechtigung begeistern?

Ich glaube, dass es insgesamt schwierig ist. Der Väterreport umschreibt verschiedene Väter-Typen. Er zeigt unter anderem, dass nur eine Minderheit wirklich daran interessiert ist, mit der Partnerin auf Augenhöhe zu leben. Man weiß auch, dass der moderne Vater schon engagierter in Sachen Kinderbetreuung ist, aber Haushalt ist maximal unattraktiv. Das Verhältnis in Sachen Hausarbeit hat sich statistisch gesehen leicht gebessert, allerdings nur weil die Frauen mehr Erwerbsarbeiten und damit weniger Zeit in den Haushalt investieren.

Ich denke, die Flucht in die Erwerbstätigkeit ist oftmals zudem auch der einfachere Weg. Im Beruf hat man eine professionelle Distanz, Themen gehen einem nicht so nahe…

Es ist naheliegend, das so zu sehen. Im Buch gibt es eine Stelle, wo es um den Cortisol-Haushalt von Frauen und Männern geht. Das ist das Stress-Hormon. Bei erwerbstätigen Frauen sinkt dieses Hormon nachweislich, wenn sie ihrem Beruf nachgehen und wenn sie nachhause kommen, steigt es wieder.

Sie wissen dann, dass sie die zweite Schicht mit all den emotionalen Verpflichtungen und dem nicht enden wollenden Wäscheberg antreten, während bei Männern der Cortisol-Spiegel sinkt, wenn sie heimkommen, weil sie dann Freizeit haben. Das ist spannend, dass das abhängig vom Geschlecht so unterschiedlich ist.

Männer übernehmen aber in der Regel auch weniger Sorgearbeit. Warum ist das so?

Ein Grund ist, dass Sorgearbeit in unserer Gesellschaft so schlecht angesehen ist. Dabei ist unsere Gesellschaft darauf angewiesen, dass Sorgearbeit, auch gegenüber Pflegebedürftigen, im Privaten geleistet wird. Für Männer ist es ein Gefühl des Abstiegs, sich mehr in die Sorgearbeit einzubringen. Dabei übersehen sie, was sie an menschlicher Bindung, Freundschaften und mentaler Gesundheit an sich vorbeiziehen lassen, weil sie sich so auf die Erwerbsarbeit konzentrieren. Das ist schon dramatisch und viele Männer erkennen das leider erst in drastischen Lebenskrisen.

Gerade bei Gutverdienern gibt es das Empty-Desk-Syndrom. Solche Männer arbeiten dann nach der Rente weiter, weil sie gar keine Bindungen mehr haben. Genauso sind Männer auf ihre Partnerin angewiesen, weil sie gewohnt sind, dass diese verantwortlich ist, den emotionalen Haushalt des Mannes zu regulieren, für dessen Wohlbefinden und Gesundheit zu sorgen. Wenn die Frau sich trennt, ist das für viele Männer ein Weltzusammenbruch.

Wie hat man denn nun eine Chance, Männer dazu zu bringen, sich mehr um sich und die Familie zu kümmern und auch den Frauen etwas an Belastung abzunehmen?

Studien legen nahe, zu glauben, dass sich Männer eher fürsorglich zeigen und sich für die Familie einsetzen, wenn die Beziehung gut ist. Wenn man Zeit füreinander hat und emotionale Nähe zulässt, dann entsteht automatisch beim Mann die Bereitschaft, in solche Verhandlungen einzutreten. Es ist zudem wichtig, früh ins Gespräch zu gehen. Die Standard-Entwicklung ist, dass eine Frau über lange Zeit durch die Doppelbelastung wirklich Stress hat und dies auch einige Male adressiert. Der Mann nimmt das gar nicht so unbedingt als etwas Ernstes wahr, weil es ja das Narrativ der meckernden Ehefrau gibt. Irgendwann sind Frauen so belastet, dass aus Überforderung Forderung wird. Wenn erst dann ernsthaft geredet wird, ist der Mann nur schwer bereit, sich einzulassen.

Kann man als Frau auch etwas zur Lösung des Konflikts beitragen?

Auf jeden Fall müssen sich beide bewegen. Auch Frauen müssen manchmal einsehen, dass vielleicht manche Ansprüche überzogen sind. Gut ist, wenn man dann gemeinsame Standards definiert, sozusagen „gut-genug-Lösungen“ für den eigenen Haushalt. Wenn man merkt, dass der jeweils andere sich auf einen zubewegt, dann findet man meistens einen Weg. Ob sich Männer wirklich durch große Argumente überzeugen lassen, zum Beispiel, dass sie durch mehr Sorgearbeit eine bessere Beziehung zu den Kindern bekommen, wage ich zu bezweifeln.

Und was tut man, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und man in dem eingangs beschriebenen Teufelskreis festhängt?

Das Feedback von Paartherapeuten ist, dass erst einmal die Beziehung verbessert werden sollte, dass sich beide wieder geliebt und wertgeschätzt fühlen. Erst dann könne man über sowas wie Aufgabenverteilung sprechen.

Wie kann man am besten vorbeugen, dass ein solcher Teufelskreis überhaupt nicht entsteht?

Ich empfehle Paaren, sich schon in der Schwangerschaft prophylaktisch über Themen auseinanderzusetzen. Oftmals tut sich da schon ein Kompetenzloch auf, weil sich die Frauen intensiv vorbereiten, Säuglingsliteratur lesen und sich mit der Geburt und der Zeit danach beschäftigen, Kinderärzte und Betreuungsplätze suchen. Viele Männer nehmen sich da schon sehr zurück. Ich habe das Gegenteil kürzlich bei meinem Schwager erlebt, der unglaublich gut über alles informiert war, sich über Kinderwagen und Krankenhäuser auskannte. Frauen sind ja mit der Schwangerschaft an sich schon beschäftigt. Warum ist das nicht immer so? Günstig ist zudem auch, wenn Väter unabhängig von der Frau Elternzeit nehmen und sich früh richtig einbringen können. „Musterbruch“ ist jedenfalls gut dafür geeignet, sich darüber zu informieren, welche Wege es geben kann, welcher Weg individuell passend ist und sich Mut zu machen, dabei eventuell auch gegen konventionelle Muster zu verstoßen.

Zur Person:

Patricia Cammarata, auch bekannt unter ihrem Online-Pseudonym dasnuf, ist Psychologin, Bestsellerautorin und Podcasterin. Sie veröffentlichte unter anderem ein Buch über den Mental Load, das sehr informativ, aber auch äußerst humorvoll geschrieben ist. Erwähnenswert sind auch ihre Beiträge zum Umgang mit Medien in der Familie, wie ihr Sachbuch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss! Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel“ oder der gleichnamige Podcast dazu. Gemeinsam mit Caspar Clemens Mierau macht sie den Podcast „Mit Kindern leben“.

Frau mit weißem T-Shirt und brauen, langen Harren lacht in die Kamera. Foto zeigt Psychologin Patricia Cammarata
Cover des Buches "Musterbruch" von Patricia Cammarata". Gelbe Schrift auf lila Hintergrund.

Patricia Cammarata: Musterbruch. Überraschende Lösung für wirkliche Gleichberechtigung, Beltz-Verlag 2024, ISBN 978-3-407-86775-9, 21 Euro.