Auf dem Bild sind viele verschiedene, bunte Schultüten zu sehen, die in einem Baum drapiert wurden und auf dem Rasen liegen.
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Was erwartet den Nachwuchs in der Grundschule?

21.07.2023

Im September beginnt für viele Kinder und Familien durch die Einschulung ein neuer Lebensabschnitt. Für Eltern besteht kein Grund sich zu sorgen, dass die Kinder diesen Schritt nicht bewältigen können. Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ist sanft. Was genau erwartet den Nachwuchs dort? Ist Schule noch so wie vor zwanzig oder dreißig Jahren?

Vor allem seit den niederschmetternden Ergebnissen der PISA-Studie am Anfang des Jahrtausends befindet sich die Grundschule im Wandel. Neue Bildungspläne stellen den Erwerb von Kompetenzen in den Vordergrund. Welchen Einfluss hat das auf das Lernen in der Grundschule?

Lehrer versuchen gegenwärtig, mit ihren Unterrichtsmethoden mehr auf die Bedürfnisse der Schüler einzugehen. „Es wird nicht erwartet, dass sie permanent still sitzen und dem Frontalunterricht des Lehrers folgen, sie dürfen sich und ihr Können im offenen Unterricht mit einbringen, in Gruppenarbeiten, beim Stationenlernen, in Projekten und in anderen abwechslungsreich gestalteten Unterrichtsformen“, so Benedikt Reinhard, Pressesprecher des baden-württembergischen Kultusministeriums. Dass Bewegung im Unterricht und aktive Pausen die Konzentration fördern, sei längst in der Grundschule angekommen.

Da die Kinder völlig verschiedene Vorkenntnisse und Begabungen besitzen, besteht die besondere Herausforderung der Grundschullehrer darin, das einzelne Kind „dort abzuholen, wo es ist“. „Differenzierung“ lautet das Stichwort. Kinder, die schon lesen und schreiben können, bekommen die Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Das motiviert. Es besteht aber auch kein Grund, in Zweifel zu geraten, wenn das Kind zu Beginn der Grundschulzeit „nur“ seinen Namen schreiben kann.

Was lernen die Schüler?

„Der Fokus in der Grundschule liegt wirklich auf den Basisfächern Deutsch und Mathematik“, so Reinhard. Umso notwendiger scheine die Fokussierung, da Baden-Württemberg in der Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) deutlich hinter anderen Bundesländern zurückgefallen sei. Das IQB führt seit 2011 im Auftrag der Kultusminister regelmäßig Studien durch. Es prüft, ob die deutschen Schulen tatsächlich die Vorgaben der Bildungspläne erfüllen. Während die Grundschulen in Baden-Württemberg 2011 noch vergleichsweise gut abgeschnitten hatten, rutschte das Bundesland in der Studie von 2016 in das Mittelfeld ab. Es wurde deutlich, dass die Schüler hierzulande deutliche Lücken in Mathematik und Deutsch aufweisen.

Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse im Herbst 2017 zog Kultusministerin Susanne Eisenmann daraus den Schluss, dass Deutsch und Mathematik noch mehr unterrichtet werden müssten. Der Beginn des Fremdsprachenunterrichts wurde in Klasse 3 verschoben, um gerade in den Anfangsklassen zusätzliche Stunden für die Basisfächer zu schaffen.

Ein „Aufregerthema“ in den Medien war auch die Methode „Schreiben nach Gehör“ (eigentlich „Lesen durch Schreiben“). Bestandteil dieser seit jeher umstrittenen Methode ist, dass die Schüler die Worte zunächst so schreiben, wie sie diese hören und dabei nicht korrigiert werden, um ihnen nicht die Freude am Schreiben zu nehmen. Seit 2016 sind die Schulen dazu angehalten, von Anfang an auf die Orthographie zu achten. Um die Lehrer anzuleiten, was sie in der Grundschulzeit ihren Schülern vermitteln sollen, hat das Kultusministerium den Rechtschreibrahmen veröffentlicht. Dessen Einhaltung ist seit 2018/19 für die Klassen eins bis zehn verbindlich.

Die Unterrichtsfächer

Stundenmäßig wird dem Deutschunterricht der größte Stellenwert eingeräumt. Am Ende des ersten Schuljahres können die Kinder in der Regel Sätze und kurze Texte „erlesen“. Am Ende des zweiten Schuljahres können sie einfache, ungeübte Texte lesen und verstehen. Nach zwei Schuljahren sollte ein Grundschulkind ein Buch seiner Wahl vorstellen können. So übt es früh seine Kompetenzen im Präsentieren. Auch andere Kompetenzen werden geschult, beispielsweise Konfliktlösung und die Einhaltung von Gesprächsregeln. Um Grammatik und Rechtschreibung kommen Grundschulkinder allerdings nicht herum. Regelmäßige Schreibaufgaben fördern die Entwicklung der eigenen Handschrift und formklares, gestaltendes Schreiben.

Mathe und Deutsch

Mathematik wird nach Deutsch am meisten unterrichtet. Lehrer sind dazu angehalten, eventuelle Vorkenntnisse der Schüler aufzugreifen. Manche können schon zählen oder sogar leichte Rechenaufgaben lösen. Da Mathematik im Alltag vorkommt, muss es kein „trockenes“ Unterrichtsfach sein. Die Schüler bewegen sich in schrittweise größeren Zahlenräumen und bekommen zunehmend Sicherheit im Rechnen. Am Ende von Klasse zwei rechnen die Schüler im Zahlenraum bis Hundert und können Plus-, Minus-, Mal- und Geteilt-Aufgaben lösen. Sie entdecken auch geometrische Formen und Körper in ihrem Umfeld.

Fächerverbund MeNuK aufgelöst

Den Fächerverbund „Mensch – Natur – Kultur“ (MeNuK) gibt es im neuen Bildungsplan von 2016 nicht mehr. Seither werden die Fächer Sachkunde, Kunst/Werken und Musik wieder getrennt unterrichtet. Ab Klasse drei werden sie mit Einzelnoten im Zeugnis vermerkt. Im Sachunterricht werden vereinfacht und anschaulich Themen aufgegriffen, die später in den Natur- und Gesellschaftswissenschaften komplexer wieder aufgegriffen werden. In Musik soll vor allem das Interesse für das Fach geweckt und die Freude der Kinder am Singen und Musizieren gefördert werden. Im Fach Kunst/Werken dürfen die Kinder gestalterisch und handwerklich aktiv sein und ihre ästhetische Wahrnehmung schulen. 

Bewegung, Sport und Spiel

Der Sportunterricht gibt mit seinem Titel „Bewegung, Sport und Spiel“ das Signal, dass nicht nur die sportliche Betätigung im Schulalltag eine Rolle spielt, sondern dass auch Bewegung und Spiel ein wichtiger Bestandteil sind, damit sich die Schüler nach der aktiven Unterbrechung wieder auf den Unterricht konzentrieren können. Sie bekommen aber auch einen Einblick in verschiedene Sportarten. Der Religionsunterricht wird nach Bekenntnissen erteilt. Die Schüler lesen ausgewählte biblische Texte, reflektieren diese und stellen immer wieder einen Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt her.

Englisch jetzt erst ab Klasse 3

Englisch (an der Rheinschiene Französisch) wird seit dem vergangenen Schuljahr erst ab Klasse drei unterrichtet und erhält mit nur zwei Stunden je Schuljahr vergleichsweise wenig Gewicht. Nicht das Schreiben von englischen Texten steht im Vordergrund. Bisher wurde kein expliziter Grammatikunterricht erteilt. Das bedeutet aber nicht, dass nur Lieder gesungen werden und die Kinder nicht von kompetenten, voll ausgebildeten Fachlehrern unterrichtet werden. „Der Beginn des Fremdsprachenunterrichts in Klasse drei befindet sich noch in der Umstellung. Ziel ist aber, dass er wegen des späteren Beginns stringenter sein soll. Auch kleine Grammatikeinheiten sind denkbar“, so Benedikt Reinhard.

Jörg Keßler ist Professor für die englische Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das frühe Fremdsprachenlernen. Er bedauert, dass die Fremdsprache nicht mehr ab Klasse eins unterrichtet wird, zumal es inzwischen voll ausgebildete Fachkräfte gebe. „Der frühe Erwerb einer Fremdsprache trainiert das Hörverstehen, außerdem hat er positive Auswirkungen auf die Aussprache. Wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Kinder von kompetenten Lehrkräften unterrichtet werden und möglichst viel auditiven Input von Muttersprachlern bekommen (beispielsweise durch CDs oder DVDs)“, so Keßler. „Grundschulkinder müssen nicht korrekt in der Fremdsprache schreiben können. Das können auch gleichaltrige Muttersprachler nicht. Die Schriftlichkeit wird nur angebahnt.“

„Je früher, desto besser“ könne keine Regel sein. Sei die Qualität des Unterrichts gut, würden die Schüler aber beim weiteren Erwerb der Fremdsprache davon profitieren. Studien würden belegen, dass Kinder, die im Unterricht angemessen gefördert worden sind, ein erstaunlich großes Repertoire an englischen Sätzen nach Klasse vier produzieren können. Andere Studien, die zeigen, dass Schüler ohne Vorkenntnisse andere Schüler mit Englischkenntnissen aus der Grundschule in der weiterführenden Schule nach nur zwei Jahren überholen, rechtfertigen laut Keßler nicht ohne Weiteres die Rückverlegung des Fremdsprachenunterrichts. Sie würden nicht erklären, was in der Grundschule passiert ist. Seines Erachtens würden die Vorkenntnisse häufig in der Sekundarstufe nicht angemessen gewürdigt, beim Übergang in die weiterführende Schule gebe es Optimierungsbedarf.