Ein neugeborenes Baby liegt in den Armen seiner Mutter, beide schlafen ruhig.
©Robert Hainer/stock.adobe.com

Wandel in der Geburtshilfe

01.07.2019

In der Geburtshilfe läuft einiges schief. Ärzte und Hebammen können nicht so arbeiten, wie sie gerne möchten. Viele Frauen hadern im Nachhinein mit ihrem Geburtserlebnis. Wer zuversichtlich ist und sich im Vorfeld gut informiert, kann den Geburtsverlauf aber womöglich positiv beeinflussen.

Prof. Dr. med. Frank Louwen ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Zudem leitet er die Abteilung für Geburtshilfe am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main. Frägt man ihn, was gegenwärtig in der Geburtshilfe falsch laufe, weiß er gar nicht, wo er anfangen soll. Die Unterfinanzierung der natürlichen Geburt führe zu einer kontinuierlichen Verschlechterung von Versorgungssituationen. Der massive Personalmangel sorge dafür, dass weder Hebammen noch Frauenärztinnen so arbeiten könnten, dass sie am Ende ihrer Schicht zufrieden nach Hause gehen. Sie hätten währenddessen nämlich nicht diversen Frauen zu einer schönen Geburt verholfen, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten eher Notsituationen verhindert.

Die Kaiserschnittrate korreliere nachweislich mit der schlechten Versorgungssituation, ebenso ein beträchtlicher Teil der vorgenommenen Interventionen, die – je nach Notwendigkeit – die Geburt beschleunigen oder verlangsamen sollen. Das einzige Mittel, um die prekäre Lage in Kliniken zu verbessern, sei, unbedingt die ausreichende Finanzierung der normalen Geburt zu sichern.

Schlechte Grundvoraussetzungen

Die Schließung der Geburtshilfe im Stuttgarter Charlottenhaus Ende letzten Jahres, nachdem kein Ersatz für einen ausscheidenden Belegarzt gefunden worden war, kann als symptomatisch für die Situation in ganz Deutschland betrachtet werden. Nicht nur die Arbeitszeiten und die Bezahlung der Belegärzte sind unattraktiv, sondern dies gilt gleichermaßen für die Hebammen in der Geburtshilfe.

Auch freiberufliche Hebammen, die Frauen in der Schwangerschaft und/oder im Wochenbett betreuen, sind in Stuttgart rar. Im April berichteten die Stuttgarter Nachrichten über den Notstand. Man müsse davon ausgehen, so die Hebamme Monika Schmid, dass 2018 Hunderte von Stuttgarterinnen ihre Suche ohne Erfolg eingestellt hätten. Spätestens in der achten Schwangerschaftswoche sollte man mit der Suche nach einer Hebamme beginnen, rät Schmid.

Auswirkungen

Die Kaiserschnittrate betrug nach einer Statistik des Statistischen Bundesamtes 2017 30,5 Prozent. Wünschenswert wäre laut der WHO eine Quote von 10 bis 15 Prozent. Im Film „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ von Carola Hauck erinnern sich drei Frauen mit gemischten Gefühlen an ihre erste Geburt zurück.

Eine Frau schildert glaubwürdig, wie sie sich unter der Geburt ausgeliefert gefühlt habe wie ein Tier, an dem sich jeder habe bedienen können. „Sicher“ im Sinn des Filmes ist die Geburt nämlich nicht nur dann, wenn die Geburtsklinik nah und der OP gut ausgestattet ist. „Sicher“ meint auch, dass sie selbstbestimmt, zur vollsten Zufriedenheit der Patientin durchgeführt wird, ohne (Routine-) Interventionen und ohne medizinisch nicht indizierte Kaiserschnitte.

So definiert auch die Bundeselterninitiative Motherhood e.V. die „sichere“ Geburt. Sie gibt an, dass Studien zufolge nur circa sieben Prozent der Geburten ohne Eingriffe wie beispielsweise Dammschnitte, Periduralanästhesien (PDA) oder Geburten mit Hilfe von Saugglocke oder Zange stattfänden. Prof. med. Sven Hildenbrandt gibt in Haucks Film zu bedenken: jeder Eingriff in den natürlichen Geburtsverlauf müsse gut begründet sein. Jede Wehenschwäche habe ihren Grund. Interventionen würden meistens nicht dazu führen, dass die Komplikationsraten sinken, sondern dass sie steigen würden. Eine PDA berge immer das Risiko eines Geburtsstillstandes, vor allem dann, wenn die Frau sich nicht mehr bewegen könne.

Eine Mutter hält ihr Kind im Arm.

In seinem Sachbuch „50 einfache Dinge, die Sie über das Kinderkriegen wissen sollten“ (Westend-Verlag 2008) schreibt Louwen über mögliche Kehrseiten der Geburtseinleitung. Insbesondere dann, wenn der Muttermund noch geschlossen, der Gebärmutterhals noch erhalten und seine Konsistenz eher derb sei, sei das Risiko für die Notwendigkeit eines Kaiserschnitts nach der Einleitung erhöht und das treffe durchaus auch auf Einleitungen nach der 38. Woche zu. Zudem sei eine Einleitung wesentlich häufiger mit einer schmerzhaften Wehentätigkeit verbunden, so dass während der Geburt häufiger als bei Spontangeburten die Schmerzausschaltung notwendig werde.

Michel Odent, der auch als Experte in dem Film spricht, ist selbst Arzt und Geburtshelfer und ein bedeutender Verfechter der natürlichen Geburt. Deutschlandfunk.de bezeichnet den beinahe Neunzig-Jährigen in einem Artikel von 2016 als „Enfant Terrible der Geburtsmedizin“. Odent macht sich Gedanken über die gesellschaftlichen Auswirkungen der zahlreichen Eingriffe in die Geburt. In einem online-Interview des „artgerecht-Projektes“ auf YouTube spricht er darüber, dass die Gabe von synthetischem Oxytocin unter der Geburt (zum Beispiel zur Förderung der Wehen) die natürliche Ausschüttung von Oxytocin evolutionsbedingt bei nachfolgenden Generationen vermindern könne.

Da Oxytocin nicht nur unter der Geburt wichtig ist, sondern auch als das Bindungshormon schlechthin betrachtet wird, könne dies beträchtliche Folgen für unser Bindungsverhalten haben. Man kann sich in diesem Zusammenhang fragen, welche Auswirkungen dies auf die Mutter-Kind-Beziehung haben wird.

Was können wir tun?

Eine Geburt ist unter Umständen selbstbestimmter, wenn die Frau weiß, was unter der Geburt mit ihr und ihrem Körper passiert. Sie sollte in der Schwangerschaft gelernt haben, sich in den Pausen gut zu entspannen und die Geburtsarbeit aktiv zu gestalten. Manuela Rauer vom Deutschen Hebammenverband (DHV) rät Frauen, sich in der Schwangerschaft gut zu informieren. In einem guten Geburtsvorbereitungskurs könne die Schwangere erfahren, was sie erwartet oder auch herausfinden, welcher Schmerztyp sie sei. Auch wenn sie die Geburt als natürlichen Vorgang sieht, seien Medikamente nicht unbedingt ein No-Go. Vorher müssten aber andere schmerzlindernde Maßnahmen ausprobiert werden. Wichtig sei, dass Frauen keine Angst vor dem Gebären haben, sondern darauf vertrauen, dass sie es aus eigener Kraft schaffen. Die Angst kann nämlich einen negativen Einfluss auf den Geburtsverlauf haben. „Durch einen hohen Adrenalinspiegel und durch viel Anspannung im Körper kann die Geburtsarbeit schmerzhafter sein und der Muttermund sich nicht gut öffnen“, berichtet auch Hebamme Monika Schmid.

Manuela Rauer meint, die Hebammen würden durch ihren physiologischen Blick auf die Geburt die Frauen darin bestärken, natürlich zu gebären. Ein bewährtes Modell ist, dass die Schwangere die Vorsorgeuntersuchungen abwechselnd von Arzt und Hebamme durchführen lässt. Ängste können so vor der Geburt womöglich bearbeitet und reduziert werden.

Wo gebären?

Eine Geburt in der Klinik hat natürlich positive Seiten. Geht wider Erwarten doch etwas schief, ist dort in der Regel für Mutter und Kind eine zügige Versorgung gewährleistet. Wer eine komplikationsfreie Schwangerschaft erlebt und sich damit sicher fühlt, außerklinisch zu gebären, kann überlegen, in ein Geburtshaus zu gehen.

Monika Schmid hat gut 25 Jahre lang Geburten zuhause und im Geburtshaus begleitet. Sie weiß, dass „Sicherheit“ etwas sehr individuelles ist und jede Frau selber spürt, wo und unter welchen Bedingungen sie sich sicher fühlt. Durch die häufigen Hebammen-Kontakte in der Schwangerschaft bei einer geplanten außerklinischen Geburt lerne man sich und auch das ungeborene Kind gut kennen und die Frau könne ihre inneren Ressourcen stärken. Auch die werdenden Väter werden mit einbezogen und können ihre Ängste und Fragen loswerden. Die Filderklinik schlägt unter den Kliniken insofern alternative Wege ein, dass sie der natürlichen Geburt eine besondere Priorität einräumt. Nach Angaben auf der Homepage ist die Kaiserschnittrate dort deutschlandweit am geringsten, Geburtseinleitungen werden bei unauffälligem Befund später vorgenommen, als in anderen Häusern. Wie wir in der Zukunft gebären werden, wissen wir nicht. Es gibt jedoch gute Gründe, an der natürlichen Geburt festzuhalten!

Tipps & Wissenswertes

Seit 2015 gibt es eine Mailadresse, an die sich Stuttgarterinnen wenden können, wenn sie schon in der 13. Woche sind und keine Hebamme für die Betreuung in der Schwangerschaft und/oder das Wochenbett gefunden haben: Hebammensuche-stuttgart@gmx.de

Der Film von Carola Hauck ist gerade für Erstgebärende sehr zu empfehlen und informiert umfassend: https://die-sichere-geburt.de

Das online-Projekt mind:pregnancy bietet online Hilfe für Schwangere in Baden-Württemberg, die an Ängsten oder Depressionen in der Schwangerschaft leiden (auch Angst vor der Geburt): https://mindpregnancy.de/mindpregnancy/projektziele/

In Stuttgart findet im Oktober der Kongress „Wir von Anfang an“ statt, bei dem Frauen-, Kinder- und Jugendärzte, Hebammen und Eltern in einen Dialog treten. Unter dem Motto „Miteinander statt Nebeneinander“ soll unter anderem auch das Vertrauen der Eltern in die Geburt gestärkt werden: https://wir-von-anfang-an.de