Ein Kind zu bekommen, ist gesellschaftlich gleichbedeutend mit purem Glück. Doch manchmal laufen Schwangerschaft und Geburt nicht so, wie man sich dies vorgestellt hat. Die Journalistin Katharina Fuß verleiht in ihrem Podcast „Muttergefühle“ denen Gehör, die während ihrer Schwangerschaft oder nach der Geburt Dinge erleben, über die man nicht spricht. Katharina Fuß spricht in ihren Gesprächen beispielsweise über unerfüllten Kinderwunsch, Abtreibung, Schwangerschaftsdepression und Sternenkinder. Im Interview erklärt sie, wie die Idee zum Podcast entstand, und warum es ihr wichtig ist, über diese Themen offen zu sprechen.

Frau Fuß, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Podcast über Tabuthemen in der Schwangerschaft und nach der Geburt zu machen?

Als Journalistin interessiere ich mich schon lange für gesellschaftspolitische Themen. Mir fehlte aber noch ein konkreter Ansatzpunkt. Als eine Freundin ihr Kind in der Schwangerschaft verloren hat, habe ich miterlebt, wie schwierig es für sie war, mit dieser Situation umzugehen und Hilfe zu finden. Kurze Zeit später war ich zu Beginn meiner eigenen Schwangerschaft plötzlich mit einem Gefühl konfrontiert, das ich zunächst nicht einordnen konnte. Ich empfand große Traurigkeit anstelle von purer Freude. Obwohl ich mir das Kind sehr wünschte, fiel ich in ein Loch. Ich habe mich immer gefragt: Was ist bloß mit mir los?

Im Internet habe ich wenig über Depressionen in der Schwangerschaft gefunden, aber mir wurde klar, dass ich Hilfe benötige. Dank einer Therapie ging es mir dann schließlich wieder besser. Aufgrund dieser persönlichen Erfahrung habe ich mich gefragt, warum es so schwer ist, Anlaufstellen zu diesem Thema zu finden und warum darüber nicht offen gesprochen wird.

In Gesprächen mit Frauen aus meinem Umfeld habe ich gemerkt, dass viele schon einmal ein Kind in der Schwangerschaft verloren haben oder ihre Schwangerschaft oder die Geburt nicht nur als schöne Momente in Erinnerung haben, dies aber nie erwähnt hatten. Erst durch den offenen Umgang mit meiner eigenen Geschichte erzählten sie mir von ihren Erfahrungen.

Zur Person:

Katharina Fuß ist Journalistin, Sprecherin und Moderatorin. Seit März 2023 spricht sie in ihrem Podcast „Muttergefühle“ mit ihren Gästen über Tabus in der Schwangerschaft und nach der Geburt. Der Podcast erscheint alle vierzehn Tage donnerstags.

Podcasterin Katharina Fuß

Mehr über Katharina Fuß und ihren Podcast gibt es auf Instagram: @muttergefuehle.podcast und unter Podcast Muttergefühle

Was macht ein Thema zu einem Tabuthema?

Ein Tabuthema ist für mich ein Thema, über das man in der Gesellschaft nicht spricht. Es handelt sich also um ein Thema, das in der Gesellschaft nicht angekommen ist, zum Beispiel, wenn man ein Kind verloren hat und die Nachbarn die Straßenseite wechseln, weil sie nicht damit umgehen können.

Den Betroffenen wäre aber viel eher geholfen, wenn Menschen in der Umgebung einfach offen sagen würden, dass sie mit der Situation nicht umgehen können. Es ist wichtig, der oder dem Betroffenen zu signalisieren, dass man da ist. Man kann beispielsweise offen sagen, dass man mit der Situation nicht umzugehen weiß. Gleichzeitig kann man sagen „Sag mir, wie ich Dir helfen kann!“. Außerdem wird in der Gesellschaft meistens das Bild der glücklichen Mutter vermittelt. Mir ist es wichtig, die Leute zum Nachdenken anzuregen, dass auch eine Mutter nicht immer glücklich sein muss. Es ist völlig okay, auch mal offen zu sagen „Mein Kind nervt mich“ oder „Ich würde gerne mal eine Woche raus aus meiner Mutterrolle“.

In zwei Ihrer Podcast-Folgen geht es um das Thema Elternzeit. Sie unterhalten sich mit Ihrem Mann darüber, wie Sie sich die Elternzeit 50:50 aufgeteilt haben. Die erste Folge haben Sie zu Beginn der Elternzeit und die zweite Folge als Fazit nach der Elternzeit aufgenommen. Inwiefern ist auch das Thema Elternzeit ein Tabuthema?

Ich war überrascht, wie selten sich Paare die Elternzeit 50:50 aufteilen. Das ist auch in meinem direkten Umfeld noch die Ausnahme. Mit den Reaktionen, die dann kamen, hätte ich nicht gerechnet. Mir wurde zum Beispiel gesagt, dass ich meine Entscheidung, nur sieben Monate in Elternzeit zu gehen, ganz sicher bereuen werde, und dass Stillen ja dann unmöglich sei. Aber Stillen ist sehr wohl auch möglich, wenn man berufstätig ist. Und woher wissen Außenstehende überhaupt, ob ich stillen möchte?

Was wollen Sie mit Ihrem Podcast erreichen?

Mein Podcast soll den Hörerinnen und Hörern zeigen, dass sie nicht allein sind, und dass es Menschen gibt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Mir ist es wichtig, niemanden allein zu lassen. Außerdem möchte ich, dass sich Betroffene Hilfe suchen und passende Angebote kennen. Deshalb verlinke ich bei den Folgen jeweils Hilfsangebote. Oft melden sich Hörerinnen und Hörer auch bei mir und fragen nach weiteren Informationen. Dann vermittle ich gerne.

Woher kommen die Ideen zu den Themen und wie finden Sie die passenden Gesprächspartnerinnen und -partner?

Zunächst habe ich Themen aus meinem Umfeld und aus den sozialen Medien aufgegriffen. Mittlerweile ist mein Podcast ein Selbstläufer geworden und ich bekomme viele Rückmeldungen auf meine Podcast-Folgen und dadurch auch neue Ideen.

Es melden sich auch direkt potenzielle Gesprächspartnerinnen und -partner mit einem Themenvorschlag bei mir. Wenn ich in den Vorgesprächen allerdings merke, dass jemand psychisch noch nicht soweit ist, über „sein“ Thema zu sprechen, dann rate ich davon ab, das Interview zu machen. Ich greife das Thema dann anderweitig oder zu einem späteren Zeitpunkt auf.

Engelstatue auf einem Grab.

Ist Ihnen ein Gespräch ganz besonders in Erinnerung geblieben?

Die Folge „Verwaiste Eltern“, in der eine Mutter über den Tod ihrer Tochter 18 Tage nach der Geburt berichtet, und auch die Folge „Schwangerschaftsdepression mit Abtreibung“ haben mich sehr bewegt. Grundsätzlich bin ich aber immer wieder überrascht, wie stark meine Gäste sind und wie sie aus ihrer oftmals sehr traurigen persönlichen Geschichte neuen Mut und neue Hoffnung schöpfen.

Die Mehrheit der Podcast-Abonnentinnen und -Abonnenten ist weiblich. Inwieweit sind die Themen auch für Männer interessant?

In zwei Folgen spreche ich explizit Themen an, die Männer betreffen: „Wochenbettdepression beim Mann“ und „Co-Parenting“, mit dem sich ein schwuler Mann seinen Kinderwunsch erfüllte. Manche Themen betreffen ohnehin nicht nur die Mutter. Beim Thema „Sternenkind“ spreche ich zum Beispiel mit den Eltern, also Mutter und Vater, über den Umgang mit der Situation.

Welche Themen möchten Sie als Nächstes angehen?

Aktuell beschäftigen mich die Themen „Krebs in der Schwangerschaft“, „Autismus“ und „Einzelkind“. Allerdings zeigt sich immer erst im Laufe der Vorgespräche mit den Betroffenen, ob daraus auch wirklich ein Podcast wird.

Vielen Dank für das Gespräch.