Wie entwickelt sich die Kinderbetreuung in Stuttgart weiter? Welche Anstrengungen unternimmt die Stadt, um dem Personalmangel in diesem Bereich entgegenzuwirken? Und warum werden in Zukunft mehr Plätze mit verlängerten Öffnungszeiten angeboten und dafür die Anzahl der Ganztagesplätze heruntergefahren? Wir haben mit der zuständigen Stuttgarter Bürgermeisterin vom Referat Jugend und Bildung, Isabel Fezer, über diese Fragen gesprochen, die viele Familien in der Stadt unmittelbar betreffen und in Teilen für große Nöte sorgen.

Frau Fezer, die Stadt Stuttgart hat sich aufgrund des Mangels an Betreuungsplätzen zum Ziel gesetzt, in Zukunft die Anzahl von Ganztagesplätzen in ihren Betreuungseinrichtungen zu kürzen und dafür wieder verstärkt VÖ-Plätze, also Betreuungsplätze mit verlängerten Öffnungszeiten anzubieten. Was erwarten Sie sich von dieser Maßnahme?

Im Kita-Jahresbericht von 2024 hat sich gezeigt, dass der statistische Versorgungsgrad für unter Dreijährige in Stuttgart bei 54 Prozent, für Drei-bis Sechsjährige sogar bei 99,5 Prozent liegt. Das hört sich zunächst einmal gut an, allerdings sagt die Statistik nicht aus, ob uns diese Plätze in den jeweiligen Stadtteilen tatsächlich zur Verfügung stehen. Wir haben in den letzten Jahren unsere Betreuungskapazitäten zunehmend ausgebaut, leider konnten wir trotz vielfältiger Anstrengungen (siehe dazu Infobox: Anm. der Redaktion) aber nicht in gleichem Maße adäquates Fachpersonal gewinnen. So können die Plätze zwar in der Statistik stehen, aber in Wirklichkeit nicht immer belegt werden.

Diese Folgen spüren die Eltern, indem sie entweder lange auf einen Betreuungsplatz warten müssen oder in den Einrichtungen durch die Personalknappheit Engpässe entstehen und damit zum Teil keine verlässliche Betreuung mehr gewährleistet ist. Insbesondere während Krankheitswellen ist dies immer wieder spürbar und für die Eltern, die arbeiten müssen, eine große Herausforderung.

Befragungsdaten zeigen, dass nicht alle Eltern einen Ganztagesplatz benötigen, insbesondere Eltern mit kleineren Kindern bis drei Jahren. Die nehmen dann, häufig in Ermangelung einer Alternative so ein Angebot an, möchten aber unter Umständen nur eine Betreuung bis 14 Uhr für ihr Kind. Mit einer Verschiebung hin zu mehr VÖ-Plätzen gewinnen wir also insgesamt mehr Betreuungszeit im System und können diese Zeit dann besser verteilen. Dabei kommen wir zudem auch den Erzieherinnen und Erziehern entgegen, die nur halbtags arbeiten wollen und die sonst den Beruf unter Umständen an den Nagel hängen würden.

Bürgermeistern Isabel Fezer (links) im Gespräch mit Sabine Rees vom Luftballon
Bürgermeistern Isabel Fezer (links) im Gespräch mit Sabine Rees vom Luftballon

Von wie vielen Plätzen sprechen wir hier, die umgebaut werden sollen?

Bisher haben wir bei den Stuttgarter Einrichtungen für die Drei- bis Sechsjährigen mit einem Ganztagesversorgungsrichtwert von 70 Prozent und bei den Null - bis unter Dreijährigen mit einem Versorgungsrichtwert an Ganztagesplätzen von 90 Prozent geplant. Wir streben in den nächsten Jahren für beide Altersgruppen eine langsame und moderate Verschiebung hin zu 60 Prozent Ganztages- und 40 Prozent VÖ-Plätzen an. Das heißt, wir werden jetzt nicht mit der Brechstange kommen und Ganztagesplätze massiv kürzen. Es gibt eine Zielvorgabe und wir stellen in Abstimmung mit den jeweiligen Einrichtungen nach und nach um, je nachdem, wie vor Ort die Bedarfe sind.

Ist das gesellschaftspolitisch nicht eine Rolle rückwärts, nachdem man jahrelang dafür gekämpft hatte, durch eine ausreichende Ganztagesbetreuung der Kinder beide Elternteile in die Lage zu versetzen, Familie und Beruf zu vereinbaren?

Zunächst einmal wird es ja so sein, dass wir den Eltern, die beide Vollzeit arbeiten und einen Ganztagesplatz haben, diesen nicht wegnehmen! Und auch Eltern, die einen GT-Platz benötigen, weil sie beide Vollzeit arbeiten, haben grundsätzlich Anspruch auf diesen Platz, sofern wir ihn bereitstellen können. Wir in der Jugendhilfeplanung können und müssen dabei behilflich sein, Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, damit ein gleichberechtigtes Familienleben möglich ist.

Was wir aber nicht leisten können und schon gar nicht über Kitaplätze, dass wir die Gleichberechtigung erzwingen. Wenn Paare sich nicht darüber einig sind, wie sie die Familienpflichten aufteilen und der Mann nicht bereit ist, beruflich zurückzustecken oder die Frau nicht die Kraft hat, ihre Bedürfnisse durchzusetzen, können wir das als Kitaträger nicht alleine richten. Gleichberechtigung - und dazu gehören diese Fragen - findet aus meiner Überzeugung zu allererst zuhause am Küchentisch statt. Dass man sich also zu Beginn einer Familiengründung darauf verständigt, wer wie viel arbeitet und wie die Care-Arbeit untereinander verteilt werden soll.

Ich ärgere mich auch darüber, dass Familienpolitik immer Frauensache ist. Das Thema Vereinbarkeit von Familien und Beruf hat auch eine volkswirtschaftliche Dimension, Stichwort Fachkräfte, und sollte bzw. muss die gesamte Gesellschaft interessieren. Wir können diese Fragen nicht über die Kitaversorgung lösen. Wenn Frauen erst dann gleichberechtigt sein können, wenn ein Kitaplatz da ist, aber bei Männern sich diese Frage überhaupt nicht stellt, dann sind wir noch weit weg von einer Gleichberechtigung.

Was mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig ist: der Hauptgrund, warum Kitaversorgung stattfindet, ist das Kindeswohl. Wir müssen, heute mehr denn je, dafür sorgen, dass wir alle Kinder in die Kita bekommen, damit sie anständig Deutsch lernen, damit sie die Chance haben, Bildung in Anspruch zu nehmen und so die Grundlage für eine gelingende Bildungsbiographie bekommen.

Dann wäre ein verpflichtendes und kostenloses Kindergartenjahr für alle Kinder aber sicherlich erstrebenswert, oder?

Wir wollen Eltern, die vielleicht noch eine Scheu davor haben, ihr Kind in fremde Hände zu  geben, überzeugen, nicht verpflichten. Für Kinder über drei Jahren, denen noch kein Kitaplatzangebot gemacht werden kann, gibt es übergangsweise Angebote, wie die sogenannten Spiel-Räume (Gruppen für bis zu zehn Kinder, die maximal 10 Stunden wöchentlich betreut werden, z.B. in einer Kita oder in Familienzentren, Anm. der Redaktion).

Hier können sich Eltern mit der Idee einer Fremdbetreuung zunächst einmal vertraut machen. Wir haben in Stuttgart zudem ein sehr gutes Angebot von Tagesmüttern und -vätern, die auf den individuellen Betreuungswunsch der Familien sehr gut eingehen können und Kinder im familiären Rahmen betreuen. Alle Eltern möchten, dass ihre Kinder etwas lernen und kommen daher früher oder später mit ihren Kindern in eine Kinderbetreuungseinrichtung. Zudem: Einkommensschwache Eltern können auch heute schon die Kita und die Kindertagespflege kostenlos nutzen.

Aufgrund des Fachkräftemangels werden in den Kitas auch immer mehr QuereinsteigerInnen eingestellt. Führt dies nicht insgesamt zu Qualitätseinbußen?

Angesichts des Fachkräftemangels werden wir sicherlich auch in Zukunft auf Quereinsteiger zurückgreifen müssen, auch wenn das für die Einrichtungen zum Teil einen hohen Aufwand bedeutet, diese entsprechend einzubinden. Grundsätzlich kann das einer Kita und den Kindern aber auch gut tun, jemanden im Team zu haben, der oder die aus ganz anderen Zusammenhängen kommt und die Dinge vielleicht einmal ganz anders angeht.

Warum wurden die Vergabekriterien für einen Krippen- bzw. Kitaplatz 2024 umgestellt? So wird jetzt zum Beispiel das Alter eines Kindes höher bewertet, ob schon ein Geschwisterkind in der Einrichtung ist, wird weniger hoch eingeschätzt.

Der Hauptgrund ist auch hier in erster Linie das Kindeswohl. Wenn ich nur einen Platz zu vergeben habe, ist es für ein vierjähriges Kind, das immer noch nicht in der Kita ist, höchste Zeit, denn die Zeit bis zum Schuleintritt kommt näher. Ein Einjähriges hat dann im Vergleich noch viel mehr Zeit, um auf diese Zeit vorbereitet zu werden und muss dementsprechend noch warten.

Tipps & Wissenswertes in Kürze

Betreuungsplätze in Stuttgart: über das KitaPortal und den Kitafinder: stuttgart.de/leben/bildung/kitas/kita-portal

Kindertagespflege in Stuttgart: Infos beim Caritasverband für Stuttgart e.V., caritas-stuttgart.de

Quereinstieg Kita: in Baden-Württemberg gibt es das Programm „Direkteinstieg Kita“, das Quereinsteigern mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung eine verkürzte, vergütete Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher ermöglicht, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Ganztagesplätze/Plätze mit verlängerter Öffnungszeit: Ein GT-Platz entspricht einer Betreuungszeit von 35,1 Stunden in der Woche. Es gibt auch Angebote von über 40 Stunden pro Woche. Einrichtungen, die dies anbieten, findet man über den Kitafinder. Ein VÖ-Platz entspricht einer wöchentlichen Betreuungszeit von 30 bis 35 Stunden.

Kitagebühren in Stuttgart/mtl. Kosten (seit August 2020)

Beispiele:

  • Ein Kind unter drei Jahren: 30stündige Betreuung zwischen 94 Euro (mit Familiencard) und 182 Euro (ohne Familiencard); 40stündige Betreuung: zwischen 128 Euro (mit Familiencard) und 219 Euro (ohne Familiencard). Essensgeld: + 70 Euro/Monat. Zusätzliche Kosten bei Buchung von Früh- oder Spätbetreuung.
  • Ein Kind ab 3 Jahren bis Schuleintritt: 30stündige Betreuung zwischen 54 Euro (mit Familiencard) und 112 Euro (ohne Familiencard). 40stündige Betreuung von 88 Euro (mit Familiencard), bzw. 149 Euro (ohne Familiencard). Zusätzliche Kosten bei Buchung von Früh- oder Spätbetreuung. Zusätzlich fällt auch hier noch das Essensgeld von 70 Euro/ Monat an.
  • In der Kindertagespflege entstehen für die Eltern die gleichen Kosten wie in einer städtischen Kindertageseinrichtung.

Eine Gebührenerhöhung ab dem neuen Kita-Jahr 2026 wird Thema der anstehenden Haushaltsberatungen sein.

Diese MaSSnahmen setzt die Stadt Stuttgart um, um Pädagogisches Fachpersonal zu gewinnen und zu halten:

(Auszug, aus dem Maßnahmekatalog Anwerbemaßnahmen/Stand Oktober 2025):

  • grundsätzlich nur unbefristete Arbeitsverträge für Erzieher/-innen und Kinderpfleger/-innen sowie unbefristete Übernahme der Nachwuchskräfte in diesen Bereichen
  • großzügige Stufenzuordnung bei Einstellungen
  • Tarif+ als übertarifliche Zulage
  • Qualifizierungsprogramme für Nichtfachkräfte, Kinderpfleger
  • Quereinsteiger/-innen erhalten durch die Anwendung eines erweiterten Fachkräftekatalogs die Möglichkeit, jugendamtsintern anerkannte Fortbildungen zu durchlaufen und sich so zu qualifizieren