Bildungserfolg darf nicht von den Eltern abhängen

Bildungsverläufe hängen noch immer stark vom familiären Hintergrund ab. Kinder von Akademikern haben statistisch gesehen einen einfacheren Zugang zum Studium. Aber es gibt Initiativen, Bildung gerechter zu gestalten.

Für Lara war klar, dass sie nach dem Abitur eine Ausbildung machen würde. „In meiner Familie hat niemand studiert. Ein Studium habe ich mir überhaupt nicht zugetraut. Das machen meine Freundinnen aus studierten Familien, dachte ich, aber nicht ich“, berichtet sie. Dass sie jetzt an einer Hochschule eingeschrieben ist, kann sie manchmal selbst nicht glauben. Lara heißt eigentlich anders, sie ist ein typisches Beispiel für eine Bildungskarriere aus einer Familie ohne Hochschulerfahrung.

Denn die Bildungschancen in Deutschland sind noch immer ungleich verteilt. Die Zahlen im Nationalen Bildungsbericht zeigten es deutlich: von 100 Kindern aus Akademikerfamilien studieren 78. Bei Eltern ohne Studienabschluss schaffen nur 25 den Sprung an die Hochschule.

Fehlende Vorbilder

Dass strukturelle Ursachen nach wie vor einen großen Einfluss auf die Bildungschancen haben, ist nichts Neues. Mittlerweile weiß man aber mehr über weitere Gründe: Es liegt nicht an den Schulnoten, diese unterscheiden sich kaum zwischen den sozialen Herkunftsfamilien.

Vielmehr bewerten Familien ein Studium unterschiedlich. Kinder aus Familien, in denen die Eltern mehr über Bildung und Studium wissen, bekommen oft bessere Ratschläge und fühlen sich sicherer, ein Studium zu wählen. Kinder aus Familien, die weniger darüber wissen, schätzen ihre Chancen anders ein und entscheiden sich eher gegen ein Studium. Es fehlt also an Informationen und Vorbildern. Auch dafür gibt es Beobachtungen: Eine Berliner Studie hat gezeigt, dass schon die Teilnahme an einem 20-minütigen Informationsworkshop die Studienwahrscheinlichkeit deutlich erhöht.

Bildungsschere schon in der Grundschule

Die Ungleichheiten entstehen nicht erst am Übergang ins Studium, sondern schon viel früher im Bildungsverlauf. Die aktuelle IGLU-Studie belegt, dass der Wechsel von der Grundschule auf die weiterführende Schule stark vom Bildungshintergrund und Einkommen der Eltern abhängt. Kindern von Akademikern empfehlen Lehrkräfte doppelt so oft das Gymnasium wieKindern aus einem nicht-akademischen Elternhaus. Eine Grundschullehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, erklärt das so: „Kinder aus Akademiker-Familien und Familien mit höherem Einkommen haben größere Chancen, versäumte Fertigkeiten nachzuholen. Die Eltern legen großen Wert darauf, dass die Kinder in der Schule mitkommen, da steht viel Geld für Nachhilfe, Lerntherapien und Fördermöglichkeiten zur Verfügung. Außerdem ist die Erwartungshaltung für eine höhere Schulbildung oft viel höher.“

Auf der anderen Seite beobachten Bildungsforscher hier aber auch eine positive Entwicklung. Das Bildungssystem sei in den letzten Jahren, unter anderem durch die beruflichen Gymnasien, offener geworden. Es gäbe inzwischen deutlich mehr Angebote, die zum Abitur führen und die besonders von Nichtakademiker-Kindern genutzt werden, stellt der aktuelle „Bildungstrichter“ des Deutschen Zentrums für Hochschul und Wissenschaftsforschung (DZHW) fest. Dennoch, selbst bei gleichen schulischen Leistungen, studieren viel weniger Kinder aus nichtakademischen Familien.

First Generation Students

Dafür gibt es, nach Cansu Doğan, mehrere Gründe. Sie ist Bundeslandkoordinatorin Baden-Württemberg bei ArbeiterKind.de. Die Initiative will „Arbeiterkinder“ oder besser gesagt „First Generation Students“, also Studierende der ersten Generation, die nicht aus Akademikerfamilien stammen – zum Studium ermutigen und dabei unterstützen.

„Oft kann man sich den Bildungsweg an einer Uni oder Hochschule gar nicht vorstellen, weil die Vorbilder nicht da sind. Oder man weiß nicht, in welchen Berufen man mit dem Studium einmal arbeiten könnte“, sagt sie. „Wenn man doch auf die Idee kommt, studieren zu wollen, steht man plötzlich vor vielen Fragen. Kann ich mir ein Studium überhaupt leisten? Bin ich gut genug? Was, wenn ich eine Klausur nicht bestehe?“

Akademikereltern haben hier einen Wissensvorsprung, so die Erfahrung von Doğan, die selbst First Generation Studentin war. Diese Familien wissen, wie das Bildungssystem funktioniert. Sie können ihren Kindern besser auf dem Weg durch das Schulsystem und die Entscheidung für ein Studium helfen. Sie wissen, wie Bewerbungsverfahren ablaufen, wo man sich über Studiengänge informiert und kennen die Möglichkeiten der Studienfinanzierung. Auch während des Studiums sind die Chancen von Akademikerkindern oft besser, weil sie von Beziehungen und breiteren sozialen Netzwerken der Eltern profitieren können, was den Zugang zu Informationen, Praktika oder Jobmöglichkeiten erleichtert. „Natürlich habe ich von BAföG und Stipendien gehört“, erzählt Lara, „aber wie es funktioniert, wer berechtigt ist, wusste ich nicht. Ich hatte auch große Angst davor, mich verschulden zu müssen.“

Sich gegenseitig unterstützen

Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien fehlt es also hauptsächlich an Rollenvorbildern, die Sicherheit in der Entscheidung geben und Informationen richtig einordnen können. Hier setzt „ArbeiterKind. de“ an. „Wir möchten, dass alle Menschen studieren können, die studieren wollen, egal welchen sozialen Hintergrund die Eltern haben“, sagt Doğan. Über 6.000 Ehrenamtliche in ganz Deutschland, die meisten davon Studierende der ersten Generation, engagieren sich in der Organisation. Das Herzstück von Arbeiterkind.de sind Informationsveranstaltungen an Schulen. Da geht es um die Fragen: Warum studieren? Was studieren? Wie finanzieren?

„Wir informieren und erzählen unsere eigenen Bildungsgeschichten, so erreichen wir die Schüler und Schülerinnen auf Augenhöhe. Man trifft auf Gleichgesinnte, kann seine Fragen offen stellen“, berichtet sie, „vor allem Fragen zur Studienfinanzierung bilden einen Schwerpunkt in unseren esprächen mit Studierenden.“ Mentorinnen und Mentoren begleiten und unterstützen auch später während des Studiums und beim Berufseinstieg. Letztes Jahr hat Arbeiterkind.de in Baden-Württemberg rund 3.800 Interessierte bei Infoveranstaltungen erreicht. Mit Erfolg, wie eine Studie gezeigt hat: An Schulen mit Infoveranstaltungen stieg der Anteil der Studierenden deutlich an.

Laras Weg war ein bisschen anders. Sie hat ihre Ausbildung zur Bürokauffrau abgeschlossen. Den Wunsch, einmal zu studieren, hat sie aber nie aufgegeben. Während dieser Zeit hat sie sich mit ihren Freundinnen ausgetauscht, die nach dem Abitur ein Studium angetreten haben. Durch die Gespräche wurde das Thema Studieren nach und nach klarer und greifbarer für sie. Jetzt ist sie First Generation Studierende und studiert Medienwirtschaft an einer Dualen Hochschule.

Tipps:

  • ArbeiterKind.de: Eine gemeinnützige Organisation für alle, die als Erste in ihrer Familie studieren. 2008 von Katja Urbatsch, selbst Studierende der ersten Generation, gegründet, es startete zunächst als online-Angebot.
  • BERUFENET: Das Netzwerk für Berufe der Bundesagentur für Arbeit mit aktuellen Berufsbeschreibungen.
  • studienwahl.de: Infoportal der Stiftung für Hochschulzulassung in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit. Informationen zu Studienmöglichkeiten in Deutschland.
  • myStipendium: Stipendien-Suchmaschine, die nach Studienfach, Abschluss und Hochschule filtert.
  • Deutsches Studierendenwerk (DSW): Allgemeine Infos für Studierende zum Thema Wohnen, Versicherungen, Ausbildungsförderung etc.

Studium finanzieren - Diese Möglichkeiten gibt es:

  • BAföG: Die Höhe des BAföG-Satzes ist abhängig von der Einkommenshöhe der Eltern, der aktuelle Höchstsatz ist 992 € monatlich. Nach dem Studium muss nur die Hälfte bzw. maximal 10.010 € zurückbezahlt werden.
  • Studienstarthilfe: Ab dem Wintersemester 2024/2025 können unter 25-jährige, die vor dem Studium bestimmte Sozialleistungen beziehen, einmalig 1.000 Euro beantragen.
  • Stipendien: Es gibt Stiftungen in Deutschland, die Vollstipendien und viele kleine Stiftungen, die Teilstipendien vergeben. Abiturienten und Studierende sollten auf ihre Lehrer und Dozenten zugehen und um ein Empfehlungsschreiben bitten.
  • Nebenjobs: Vorsicht - Es gibt Obergrenzen, die man nicht überschreiten sollte, weil sonst BAföG gekürzt wird und man möglicherweise aus der studentischen Krankenversicherung fällt. BAföG Rechner
  • Bildungs- bzw Studienkredite: studis-online.de/studienfinanzierung
  • In Härtefällen kann man auch Wohngeld, Überbrückungsgeld oder Bürgergeld beantragen.
  • Beim Dualen Studium kombiniert man ein Studium mit einer festen Anstellung in einem Betrieb und verdient bereits ab dem ersten Tag.
  • Der „Bildungstrichter“ des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)