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Soziale Medien und ihre Folgen: Chancen, Risiken und Eltern-Tipps

01.05.2022

Whats App, Insta, TikTok und wie sie alle heißen, nehmen viel Raum in unserem und im Leben unserer Kinder ein. Sie bergen reale Gefahren für Gesundheit und Psyche. In den zwei Jahren Corona-Pandemie haben sie aber auch wesentlich dazu beigetragen, dass wir trotz Kontaktbeschränkungen und Schließungen an vielen Lebensbereichen teilnehmen und in Kontakt bleiben konnten. Darüber und worauf wir Eltern achten sollten, haben wir mit einem Experten des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg gesprochen.  

Whats App, Instagram, YouTube, TikTok, Snapchat sind nach der aktuellen JIM-Studie im Moment die angesagten Plattformen unter Kindern und Jugendlichen. Im letzten Jahr lag die durchschnittliche Zeit, die Jugendliche im Internet verbrachten, bei  ziemlich genau vier Stunden am Tag. 2020 war die tägliche Online-Nutzung im Vergleich zu den sieben Jahren davor deutlich (um fast eine Stunde) angestiegen. Letztes Jahr wurde der Dokumentarfilm „The Social Dilemma“ (Deutscher Titel „Das Dilemma mit den sozialen Medien“,  2020 auf Netflix) noch einmal ausgestrahlt und sorgte für großen Wirbel. Er zeigt auf sehr drastische Weise, wie unser gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Social Media kaputt geht, wie wir manipuliert werden und wie uns die Medien süchtig oder gar depressiv machen. Auch wenn einige Kritiker anmerken, dass der Film von Regisseur Jeff Orlowski selber genau mit den Mitteln spielt, die er anprangert, spricht er doch wichtige Fragen an. „Auf Social Media begegnen uns ähnliche Probleme und Gefahren wie in der „Offline-Welt“, erklärt Torsten Traub, zuständig für schulische Medienbildung beim Landesmedienzentrum, „das Problem dabei: All dieses Gefahren erreichen in Social Media eine ganz andere Dimension, weil  Inhalte in kürzester Zeit ein riesiges Publikum erreichen und Menschen weitgehend anonym handeln können. Gleichzeitig ist es unmöglich, diese riesigen Datenmengen und -ströme zu prüfen und zu kontrollieren.“ Wir schauen uns einzelne Fragestellungen mal genauer an.

Macht Social Media abhängig oder krank?

WhatsApp, Instagram und Snapchat können süchtig machen – das ist zumindest das Ergebnis einer Forsa-Studie aus dem Jahr 2018 im Auftrag der Krankenkasse DAK. Jeder, der einmal auf Facebook, Instagram oder TikTok war, kennt das. Man startet damit, seine Seite nach Neuigkeiten zu checken und merkt gar nicht, wie man hineingezogen wird und sich kaum mehr lösen kann. Denn seltsam, man bekommt ständig Themen vorgeschlagen, für die man sich interessiert. Das ist Absicht. Denn das oberste Gebot der sozialen Medien heißt „tu alles dafür, die Verweildauer der Nutzer zu erhöhen“. Das ist die Währung, womit viel Geld verdient wird. Je länger man am Smartphone ist, desto höher die Aufmerksamkeit für Werbung. Und damit sind wir auch schon beim Kern des Problems. Je mehr Zeit Menschen auf ihnen verbringen, desto höher die Werbeeinnahmen.

Daher setzen Plattformen auf Algorithmen, die uns einerseits genau die Dinge anzeigen, die uns interessieren könnten. Dazu wird unser Verhalten auf den Plattformen selbst, aber auch außerhalb der Plattformen verfolgt und analysiert. Jedes Anklicken, Wegklicken eines Beitrags oder die Verweildauer werden gespeichert. Zusätzlich zeigen uns die Plattformen aber auch beständig neue Inhalte an. „Je größer mein eigenes Netzwerk auf der Plattform ist, je mehr Profilen ich folge, desto mehr Inhalte stehen mir per se zur Verfügung. Aber selbst wenn ich nur wenige Profile abonniert habe, sorgen die Algorithmen dafür, dass ich regelmäßig etwas Neues präsentiert bekomme: durch Empfehlungen von passenden Profilen und Inhalten und durch Werbung“, erklärt Torsten Traub.

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Zum Zeitvertreib, dem wir mit den sozialen Medien so bequem nachgehen können, kommt noch ein anderer Aspekt hinzu. Die Medien sind wichtig für das Zugehörigkeitsgefühl, die Identitätsbildung und ein Weg, immer und überall mit Freundinnen, Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben – oder auch Menschen mit ähnlichen Interessen zu finden. All das zusammen kann zu einem Druck oder Zwang führen, immer informiert und auf dem aktuellen Stand zu sein. Das nennt sich Fear of Missing Out (FOMO), die Angst, etwas zu verpassen. Es gibt Studien, die zeigen, dass FOMO negative körperliche Auswirkungen mit sich bringen kann. Dazu zählen Stress, Müdigkeit und zu wenig Schlaf.

Welche Gefahren lauern?

Zu den Gefahren, die auch in der Offline-Welt  lauern, kommen noch einige spezielle hinzu. Fehl- und Desinformation, Ausgrenzung, Cybermobbing, Diskriminierung und Hass, Kostenfallen und Betrug, Datenmissbrauch, sozialer Druck und Gruppenzwang, gefährliche Kontakte – zum Beispiel in Form von Cybergrooming, also der Kontaktaufnahme von Erwachsenen zu Kindern aus sexuellen Gründen. Außerdem können Nutzerinnen und Nutzer leicht auf Inhalte stoßen, die – insbesondere jüngere Kinder - verstören können, also gewaltverherrlichende, pornografische oder extremistische Inhalte. Filterblasen, die entstehen, weil sich die Seiten merken, welche Informationen und Neuigkeiten man sich besonders gerne anschaut, können zum Problem werden. Denn die vorgefilterten Informationen sorgen dafür, dass überwiegend Nachrichten und Inhalte angezeigt werden, die der eigenen Meinung und Geschmack entsprechen. Das ist deshalb problematisch, weil es die Meinungsbildung stark beeinflusst.

Beeinflusst von Magermodels und Muskelprotzen?

Es ist unbestritten, dass Instagram, TikTok und Co eine wichtige Rolle in der Identitätsbildung spielen. „Leider sind Klischees und Stereotype fest in der Gesellschaft verankert. Dadurch erhalten vor allem Profile Aufmerksamkeit und Likes, die gängigen Schönheitsidealen und Rollenbildern entsprechen“, beobachtet Torsten Traub. Bei Mädchen und Frauen dominierten oft Themen wie Kosmetik, Mode, Kochen, Backen oder Do It Yourself. Profile von Männern und Jungs seien am erfolgreichsten, wenn sie sich mit Themen wie digitalen Spielen, Sport und Humor beschäftigten. Aber die Medien bergen durchaus auch Chancen, erklärt er: „Weil die klassischen Gatekeeper (Modelagenturen, Werbeagenturen, Journalismus) immer weniger Macht haben, erfahren auch Menschen, Körperbilder und Themen Öffentlichkeit, die auf den etablierten Wegen ausgeschlossen worden wären, weil sie beispielsweise vermeintlichen Idealen nicht entsprechen. Das schafft Bewusstsein für Diversität und sensibilisiert für Unterdrückung und Ausgrenzung.“

Wie können Eltern damit umgehen?

Eltern, rät Traub, sollten vor allem neugierig und aufgeschlossen bleiben. Es sei wichtig, aufrichtiges Interesse an der Mediennutzung ihrer Kinder zu zeigen, sich erklären lassen, was ihr Kind tut und warum ihm das Freude bereitet. Auf keinen Fall pauschal urteilen – wenn etwas kritisiert werde, solle das auch begründet werden, indem beispielweise Sorgen explizit benannt werden. Auch Regeln zur Mediennutzung können gemeinsam aufgestellt werden. Das schafft Vertrauen und Respekt – und das wiederum sei die wichtigste Basis, damit das Kind sich bei Problemen im Netz auch wirklich an die Eltern wende.

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Um Filterblasen zu vermeiden, sollte darauf geachtet werden, dass auch andere Ansichten und Medien, wie Radio, TV oder Zeitungen Platz haben. Natürlich hilft es, das analoge Leben zu pflegen  und Aktivitäten und die persönlichen Kontakte von Angesicht zu Angesicht nicht zu kurz kommen zu lassen. Eltern spielen nach wie vor eine entscheidende Rolle für die Identitätsbildung und das Wertesystem ihrer Kinder. Vor allem bis zur Grundschulzeit orientieren sich Kinder stark am Verhalten ihrer Eltern. Eltern sollten daher im Blick behalten und sich kritisch hinterfragen, wie sie selbst Medien nutzen und welche Werte sie damit an ihre Kinder weitergeben. „Wichtig ist, ein wertschätzendes, respektvolles Miteinander vorzuleben und aufzuzeigen, dass soziale Medien viele tolle Facetten haben, aber nicht unbedenklich sind und dass das Leben mehr als die Summe von Bildern, Videos und Likes ist“, so der Experte vom Landesmedienzentrum.

Und wenn professionelle Hilfe nötig ist?

Für Eltern, Lehrkräfte und Pädagoginnen, Pädagogen stellt das Landesmedienzentrum vielfältige Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. Zum Beispiel Elternabende, Fortbildungen oder die Medienpädagogische Beratungsstelle. Eltern finden außerdem viele Tipps und Informationen in dem Ratgeber “Medien – aber sicher” und auf der Seite der Initiative Kindermedienland. Im Rahmen von Workshops und der Kampagne “BITTE WAS?! Kontern gegen Fake und Hass” werden Kinder und Jugendliche sensibilisiert für problematische Aspekte von Social Media. 

Traub ist noch ein abschließender Blick auf die eingangs angesprochenen Doku wichtig. Bei aller berechtigter Kritik sei eine differenzierte Betrachtungsweise der Thematik im Kontext wirkungsvoller Medienpädagogik unabdingbar. Der Film zeichne ein dystopisches Bild, das die positiven Aspekte vollständig ausblendet. Soziale Medien tragen durchaus viel Positives bei zur Meinungsbildung, zum gesellschaftlichen Diskurs, zur Demokratiebildung und zur zwischenmenschlichen Kommunikation. „Wie “gut” oder “problematisch” soziale Medien sind, liegt daran, wie Gesellschaften und Individuen sie nutzen und prägen. Statt Plattformen als Ursache zu betrachten, sollten wir also eher hinterfragen, wie wir mit anderen umgehen und wie wir selbst zu einem besseren Miteinander in sozialen Netzwerken beitragen können.“

Weiterführende Informationen & Tipps