So ersetzen Familien alte Gewohnheiten durch frischen Wind

01.03.2020

Neue Wege gehen

Gewohnheiten geben Halt im Alltag, doch manchmal möchte man in der Familie auch einmal etwas Neues ausprobieren: zum Beispiel weniger Fleisch essen, öfter mal auf das Handy verzichten und mehr miteinander unterwegs sein. Doch wie schafft man es, sich von alten Gewohnheiten zu verabschieden, ohne dass dadurch zu viele Konflikte in der Familien entstehen? Wir haben uns dazu mit zwei Expertinnen unterhalten. Jede Familie hat eigene Routinen und Gewohnheiten entwickelt, die dabei helfen, den oftmals stressigen Alltag zu bewältigen. Und das ist auch gut so, denn die komplexe Umwelt würde uns ansonsten überfordern und niemand wäre imstande, die vielen Aufgaben zu bewältigen. Gerade im Familienverbund fallen so einige Bereiche an, in denen diese Gewohnheiten hilfreich sind, etwa beim Zähneputze oder bei einem festen Ritual vor dem Schlafengehen.

Manchmal sind diese aber auch hinderlich, etwa wenn die Abläufe nicht mehr für alle Familienmitglieder passen. Da liegt es nahe, sich von so mancher Routine zu verabschieden – doch das kostet Zeit und Nerven. Manchmal führen diese Veränderungen oder Wünsche obendrein zu Konflikten in der Familie. Hier können die Tipps unserer Expertinnen helfen, um typische Situationen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Zur Person

Sabrina Dürr

Dipl.-Ökotrophologin und Ernährungstherapeutin in eigener Praxis in Esslingen

Fides Podschun

Kindheitspädagogin (B.A.) & staatlich anerk. Sozialpädagogin mit pädagogischer Beratungspraxis in Winnenden

Tschüss Fleisch – Hallo vegetarisch und vegan

Am Mittagstisch schiebt das Kind die Wurst aus dem Weg und verkündet, von heute an vegetarisch leben zu wollen. Das bedeutet, es möchte keine Produkte, für die Tiere getötet werden müssen, mehr konsumieren. Das andere Kind ist entsetzt: Wie soll es ohne die geliebte Wurst am Morgen überhaupt leben? Bevor nun eine große Diskussion über das Für und Wider von vegetarischer Ernährung ausbricht, lassen wir unsere Expertin für Ernährung zu Wort kommen.

Dipl.-Ökotrophologin Sabrina Dürr:

Man sollte die Entscheidung der Kinder durchaus akzeptieren und nichts aufzwingen, aber auch durchaus hinterfragen, was der Auslöser ist. Oftmals haben die Kinder verstörende Bilder gesehen oder es wurde etwas erzählt und darüber sollte auf jeden Fall gesprochen werden!

Danach kann man gemeinsam überlegen, wie sich das Essen abändern lässt. So kann etwa gut nach „Baukastensystem“ gekocht werden, bei der das Kind die FleischKomponente einfach weg lässt. Auch für den Rest der Familie ist es durchaus spannend, was es noch alles für Speisen gibt, die völlig ohne Fleisch auskommen, und welche Alternativen es zum täglichen Wurstbrot gibt: Aufstriche, Dips, verschiedene Käsesorten und anderes können den kulinarischen Horizont der ganzen Familie erweitern.

Ab nach Draußen

Die Familie liegt am Sonntagmittag auf der großen Couch und lässt sich von Netflix berieseln. Doch halt, war da nicht mal der gute Vorsatz, sich mehr zu bewegen? Schließlich scheint die Frühlingssonne und rund um den Kessel laden viele großartige Wandertouren zum Entdecken ein. Die Kinder wollen aber nicht von der gemütlichen Couch aufstehen und schnell schlägt die Frühlingsstimmung ins erste Nölen um. Bevor jetzt ein Streit zwischen den Generationen ausbricht, gibt unsere Expertin für pädagogische Beratung Tipps:

Sozialpädagogin Fides Podschun:

Je älter unsere Kinder werden, umso mehr geraten sie in den Konflikt zwischen ihrem Drang, mit den Eltern – und auch Geschwistern – zu kooperieren, sowie ihrem Bedürfnis, das eigene Ich aufzubauen bzw. zu bewahren. Und dabei mag der Inhalt des Konfliktes für uns Erwachsene banal klingen. Kinder sind in Konfliktsituationen sehr verletzlich. Setzen wir Erwachsenen sie unter Druck, dann entscheiden sie sich zunächst immer für die Kooperation und riskieren damit eine Beschädigung ihres Ichs, das heißt ihrer Integrität. Folgende Elemente sind geeignet, um Blockaden des Zusammenspiels zu durchbrechen:

  • Gesehen werden
  • Sich Zeit nehmen
  • Ernst nehmen
  • Wertschätzen der anderen Meinung
  • Eigene ­Wünsche äußern
  • Kompromisse finden
  • Persönliche Grenzen zeigen

Das Kind darf durchaus noch sauer sein, weil es mit spazieren gehen muss. Es muss nicht, weil wir es uns wünschen, fröhlich sagen: „Okay, ich will zwar nicht, aber wenn du es sagst, freue ich mich auch!“ Das hieße, von ihm zu verlangen, dafür zu sorgen, dass es den Erwachsenen emotional gut geht. Es darf unlustig den gesamten Spaziergang überstehen. Und wir Erwachsenen dürfen dies aushalten.

Smartphone, Konsole und Co. – Medienzeit in der Familie

Viele genießen die Vorzüge des digitalen Zeitalters, doch wenn dieses sich an den Esstisch gesellt, ist für so manch einen Elternteil Schluss mit lustig. „Leg das Handy weg“, „Schalte doch endlich mal den Fernseher aus“, „Ich möchte mich doch nur einmal mit euch unterhalten“ – Doch die Kids sehen das gar nicht ein, schließlich starren die Erwachsenen selbst immer wieder auf das Smartphone. Medien an sich sind großartig, doch manchmal sorgen sie für Konflikte in der Familie. Tipps zum Umgang hat unsere Expertin:

Fides Podschun:

Der Wunsch zum gemeinsamen Erleben, intensiver authentischer Austausch, gelebte Wertschätzung, Akzeptanz des anderen Ich und ungeteilte Aufmerksamkeit bilden eine gute Basis, dem Thema Smartphone & Co. zu begegnen. Machen wir uns bewusst, warum wir gemeinsam essen – nur der Nahrungsaufnahme wegen? Treten wir wieder miteinander in authentische Beziehungen. Sprechen wir es ehrlich aus: „Lass uns miteinander Zeit verbringen und leg bitte das Smartphone weg.“ Senden wir unseren Kindern Signale aus: Du bist mir wichtig. Wann wollen wir gemeinsam etwas unternehmen, lesen oder auch am Computer spielen?

Obst, Gemüse und Co. – gesundes und frisch gekochtes Essen

„Essen ist fertig“ – und alle versammeln sich hungrig am Esstisch. Doch als sie den Inhalt der Töpfe sehen, werden lange Gesichter gezogen. „Das sieht echt eklig aus“, „Das mag ich nicht“, „Ich will lieber Nudeln“. Bei den Antworten kann einem schnell die Lust vergehen, sich überhaupt noch mal an den Herd zu stellen. Wie sich dieser Frust vermeiden lässt, zeigt unsere Expertin.

Sabrina Dürr:

Bei kleineren Kindern kann man versuchen, dem Thema keine so große Macht zu geben, dass es das gesamte Familienleben beeinflusst! Das passiert sehr häufig schon ab dem Baby- und Kleinkindalter, wenn sich alles nur noch ums Essen dreht! Das Essen muss sich ab jetzt nicht nach dem Kind richten. Das Kind gewöhnt sich an die Familienkost, sofern es natürlich nicht jeden Tag Fertigpizza und 5-Minuten-Terrine gibt. Je weniger Macht und Gewichtung man dem Essen gibt und je schneller das Kind lernt, selbständig mitzuessen, desto weniger Probleme wird es auch zukünftig mit dem Thema geben!

Wenn die Kinder schon älter sind, hilft es sehr, darüber zu sprechen und zum Beispiel gemeinsame Essenspläne zu machen oder gemeinsam etwas zuzubereiten, damit jeder ein Mitspracherecht hat. Je mehr gemeinsam entschieden wird, desto weniger Veto wird es geben, denn man war ja bei der Planung beteiligt oder hat bei der Zubereitung mitgeholfen und bekommt nicht einfach eine Mahlzeit vorgesetzt, die man essen MUSS. Ich persönlich überlege mir bei jeder Mahlzeit einfach: Was kann ich zusätzlich daran positiv gestalten? Ohne Stress und ohne komplett das Essen auf den Kopf zu stellen:

  • Zu wenig Gemüse: als Vorspeise schnell ein paar Karottensticks oder noch etwas TK-Gemüse in die Soße oder in die Suppe
  • Zu wenig Eiweiß: Kräuterquark zum Gemüse, Eier in den Grießbrei oder in die Suppe, gekochtes Ei oder Rührei zum Abendbrot, Quark mit Früchten als Nachtisch
  • keine Zeit zum Kochen: Dinge gut beschriftet einfrieren, wenn etwas übrig ist, bzw. bewusst mehr kochen, wenn man Zeit hat