Für Kinder ist das letzte Jahr in der Kita etwas ganz Besonderes - denn jetzt sind sie die Großen. Was sollte von Seiten der Kitas geleistet werden?

Kind sitzt auf dem Ende einer Rutsche und bindet sich die Schuhe neu.

Wenn ich an meine eigene Vorschulzeit denke, dann erinnere ich mich daran, dass wir fleißig übten, den eigenen Namen zu schreiben, einfache Rechenaufgaben lösten, der Umgang mit Stift und Schere bei vielfältigen kreativen Bastelarbeiten vertieft wurde und natürlich, dass jedes Kind eine Schleife binden konnte. Dass sich im Gegensatz zu meiner eigenen Kindergartenzeit einiges geändert hat, habe ich spätestens daran gemerkt, dass meine Kinder gar keine Notwendigkeit mehr gesehen haben, Schleifen zu binden - und Malen und Basteln im offenen Konzept der Kitas in eigens dafür ausgewiesenen Ateliers stattfand.

Schulvorbereitung von Anfang an

Geprägt von den eigenen Erfahrungen erwarten Eltern heute viel von der Schulvorbereitung in der Kita. Für Petra Engelsmann, ehemalige Kita-Leiterin in Stuttgart, die als Autorin und im Coaching arbeitet, beginnt die Vorbereitung für die Schule jedoch nicht erst im letzten Kita-Jahr, sondern bereits mit dem Eintritt in eine Kindertageseinrichtung.

Foto von Petra Engelsmann
© Hannes Marin

„Oftmals haben Eltern eher die kognitiven Fähigkeiten im Blick, wie Zählen, Lesen oder Schreiben, wenn sie an Schulfähigkeit denken. Aber im sozialen Lernraum werden während der gesamten Kita-Zeit soziale, emotionale, motorische und kognitive Kompetenzen vermittelt“, sagt sie.

Dennoch entwickeln sich im Hinblick auf den anstehenden Übergang zur Grundschule neue Interessen, Erwartungen und Fragen, die sich von den jüngeren Kindern unterscheiden. Um diesem Entwicklungsdrang gerecht zu werden, setzen viele Einrichtungen auf Kleingruppenprojekte. „Meist geht es hier nicht um eine spezifische Vorbereitung auf schulische Inhalte, sondern vielmehr darum, den natürlichen Forscherdrang der Kinder aufzugreifen“, erklärt die Pädagogin.

Beliebt sind Projekte rund um Natur, Technik oder Kunst. Weiterhin bieten die meisten Kindertagesstätten besondere Aktivitäten für die Großen an, etwa Ausflüge zur Polizei, der Feuerwehr oder in einen Tierpark. Engelsmann hält solche Aktivitäten für sinnvoll, denn sie erweitern den Horizont, bieten neue Anregungen und werfen neue Fragen auf. Außerdem bekommen die Kinder die Möglichkeit, sich in einer neuen Umgebung mit anderen Menschen zurechtzufinden - eine gute Vorbereitung, um sich mit anderen Systemen vertraut zu machen.

Kooperation mit der Grundschule

Ein besonders wichtiger Teil im letzten Kita-Jahr ist der Besuch einer Grundschule. Meist geht es weniger um den Unterricht, sondern um ganz einfache Fragen, wie beispielsweise: Was kann man in der Pause machen? Wie sieht ein Klassenzimmer aus? Was bedeutet der Gong? Ein Ausflug in die Schule erleichtert den Übergang in die neue Umgebung und nimmt den Kindern die Unsicherheit. Damit der Übergang gelingt, besuchen Kooperationslehrer regelmäßig die Kitas, tauschen sich mit Fachkräften aus und laden zu Schnuppertagen ein.

Wie wichtig die Kooperation von Schule und Kindertageseinrichtung sei, betont auch eine Grundschullehrerin aus dem Raum Ulm. Während die Zusammenarbeit auf dem Land oft einfacher gelingt, stellt sie in städtischen Gebieten mit vielen Einrichtungen und Schulen eine größere Herausforderung dar. Personalmangel und häufiger Wechsel der Bezugspersonen erschwerten die Zusammenarbeit zusätzlich.

Gerade hier sei es entscheidend, verbindliche Strukturen zu schaffen, um die zukünftigen Schulkinder gut im Blick zu behalten und bei Bedarf frühzeitig Fördermöglichkeiten zu schaffen. „Je besser der Austausch gelingt, desto individueller können wir fördern“, sagt sie. Sie begrüße das im neuen Schuljahr startende „Sprach-Fit“- Programm an Kitas und Schulen in Baden-Württemberg. Sprachkompetenz soll dabei noch mehr in den Fokus rücken, um den Schulstart zu erleichtern.

Frühkindliche Bildung ist keine Vorschule

Laut Kultusministerium Baden-Württemberg verfolgt frühkindliche Bildung einen umfassenden Ansatz: „Ziel der Kindertageseinrichtungen ist, die persönliche und soziale Entwicklung der Kinder bestmöglich zu fördern und ihnen altersgerechtes Wissen zu vermitteln und sie in ihren sozial-emotionalen Kompetenzen zu stärken.“ Es geht also nur bedingt um eine Vorbereitung auf den Schulstart, vielmehr geht es um die Persönlichkeitsbildung.

Günther Roßbach, Erziehungswissenschaftler an der Uni Bamberg, meint, dass es wissenschaftlich keinen Grund gäbe, das letzte Kita-Jahr besonders zu betonen - Sprach und Mathematikförderung beginne ab dem ersten Tag in der Krippe, nicht erst kurz vor der Schule. Kleine Kinder sind unheimlich wissbegierig. Sie stellen Fragen, sie wollen ihre Welt verstehen und neue Dinge ausprobieren. Dieser natürliche Wissensdurst sollte unbedingt genutzt werden. Das reicht von Buchstaben lernen über das Verständnis für Mengen bis zum Nachdenken über die Welt. Mathematik und Sprache wird spielerisch im Kita-Alltag gelernt: beim Kochen, Basteln oder Spielen.

So wiegen die Kinder beim Kochen oder Zubereiten von Speisen die Zutaten ab, lernen über Maße und Mengen und reflektieren über gesunde Ernährung. Beim Vorlesen entwickeln sie Sprachgefühl, erweitern ihren Wortschatz und lernen aktives Zuhören. Mengenverständnis, einfache Zahlenreihen und räumliches Vorstellungsvermögen kann beispielsweise beim Spielen in der Bauecke oder gemeinsamen Spielen trainiert werden. „Wenn wir Spiel- und Alltagssituationen bewusst begleiten, entstehen wertvolle Bildungserfahrungen – und das ganz ohne Leistungsdruck“, erklärt Engelsmann.

Resilienz und Selbstmotivation

In einer guten Kita sollten sich die Kinder wohlfühlen und entfalten können. Sie sollten das Gefühl haben, mit ihren Interessen gehört zu werden und ihre Bedürfnisse auszudrücken. Das tägliche Miteinander stärkt ihre sozialen Kompetenzen, wie Grenzen von anderen zu respektieren, Freundschaften zu schließen oder Verantwortung für andere zu übernehmen. Bekommen Kinder dabei auch noch regelmäßig die Gelegenheit, sich selbst auszuprobieren und Selbstwirksamkeit zu erleben, entwickeln sich Fähigkeiten wie Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit oder Frustrationstoleranz von ganz allein.

„In der offenen Arbeit können wir individuelle Themen der Kinder aufgreifen und mit anderen Bildungsbereichen verknüpfen. Die Kinder freuen sich an ihren Entdeckungen und erleben: Ich kann etwas und ich weiß sogar, wie ich noch mehr darüber herausfinden kann. Natürliche Neugier und Lust am Lernen stellen eine optimale Grundlage für den weiteren Bildungsweg dar“, erklärt sie.

„Dabei sollte jede Leistung der Kinder anerkannt werden - auch wenn sie unseren eigenen perfektionistischen Erwartungen nicht entspricht.“ Im besten Fall werden die Kinder so in der Kita-Zeit zu starken Persönlichkeiten, die resilient genug sind, um gut mit den vielen Veränderungen des Schulstarts – neue Bezugspersonen, neue Kinder, ein neuer Alltag – umzugehen.

Austausch mit den Eltern

Ein aktiver Austausch zwischen Kita und Eltern ist in dieser Zeit besonders wichtig. Die Fachkräfte sollten einerseits von den Stärken und Interessen des Kindes berichten und gleichzeitig über das pädagogische Konzept für das letzte Kindergartenjahr und mögliche Erwartungen der Grundschule aufklären.

Eltern haben gerade vor dem Wechsel in die Grundschule einen großen Beratungsbedarf und sehen sich mit vielen Unsicherheiten konfrontiert. Entwicklungsgespräche, gemeinsam eine Schultüte für das Kind zu basteln und Elternabende mit gezielten Impulsen bieten inen Rahmen für Austausch und Verständnis. Bei den meisten Eltern ist die Erleichterung groß, wenn sie erfahren, dass niemand von ihrem Kind erwartet, dass es vor dem Schulstart Lesen oder bis 100 zählen kann. Die kindliche Neugier ist die beste Voraussetzung für den Schulstart. Und entspannte Eltern können ihr Kind zuversichtlich auf die Schule vorbereiten und seinen Weg als interessierte Begleiter unterstützen.

Einschulungsuntersuchung (ESU)

Bereits im vorletzten Kita-Jahr gibt es in Baden-Württemberg einen Austausch zwischen Kita, Eltern und dem Gesundheitsamt. Dabei gibt es auch eine Gesundheitsuntersuchung ESU, wo unter anderem Motorik, Sprach- und Mengenerfassung sowie das Verhalten erfasst wird. Bei Auffälligkeiten bleibt so noch Zeit für Fördermaßnahmen bis zum Schulbeginn. Im letzten Kindergartenjahr haben die Kooperationskräfte von Grundschule und Kita die Möglichkeit, bei Kindern, deren Schulfähigkeit in Frage gestellt wird, eine weitere schulärztliche Untersuchung zu empfehlen.

SprachFit

Neues Sprachförderpaket für Kitas und Grundschulen im kommenden Schuljahr. SprachFit ist ein umfassendes Sprachförderprogramm des Landes Baden-Württemberg, das darauf abzielt, die Sprachkompetenz von Kindern frühzeitig und nachhaltig zu stärken – von der Kita bis zur Grundschule.

Dafür werden von der Landesregierung zusätzlich Ressourcen bereitgestellt und Fachpersonal geschult. Weiterhin sollen ab 2026 spezielle Juniorklassen an Grundschulen eingerichtet werden, mit dem Ziel: alle Kinder schulreif einzuschulen.