Großeltern 2.0

Die Rolle der Großeltern hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Um das zu erkennen, muss man nur einen Blick in aktuelle Kinder bücher werfen, wo Großeltern oft mals adrett gekleidet und vital dargestellt werden. Anders als in früheren Zeiten sind sie aktiv, haben eigene Interessen und wohnen nur selten dort, wo auch die Enkelkinder sind. Wie wirkt sich das auf die Beziehung der Enkel zu Oma und Opa aus?

Wir selbst haben großes Glück mit unseren Omas und Opas. Auch wenn sie nicht gerade nah bei uns wohnen, sind alle engagiert und springen ein, wenn wir einen Betreuungsengpass haben. Monika, meine Schwiegermutter, hat neun Enkel im Alter von zwei Jahren bis Mitte Dreißig. Seit wenigen Jahren ist sie sogar Uroma. Damit sprengt sie die Statistik in einigen Punkten.

Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts zur „Generationenübergreifenden Zeitverwendung“, die von der Sozialwissenschaftlerin Dr. Alexandra Langmeyer-Tornier geleitet wurde, hat nämlich ergeben, dass Großelternschaft aufgrund des späten Zeitpunkts der Elternschaft und vermehrter Kinderlosigkeit keine selbstverständliche Gegebenheit mehr ist. So hätten immerhin fast ein Viertel der im Deutschen Alterssurvey befragten Siebzig- bis Fünfundachtzigjährigen Frauen und Männer angegeben, keine Enkelkinder zu haben. Und diejenigen, die welche haben, hätten deutlich weniger als früher, nämlich im Durchschnitt drei. Neun Enkelkinder zu haben, erscheint statistisch betrachtet also als ein Glücksfall. Die parallele Existenz von mehr als drei Generationen würde zudem zunehmend selten.

Anhand der Studie lässt sich außerdem belegen, dass Großeltern im Durchschnitt Anfang Fünfzig sind, wenn sie das erste Enkelkind bekommen. Frauen sind im Schnitt etwas jünger als Männer, Eltern mit hoher Bildung werden statistisch betrachtet später Großeltern.

Mit der deutlich angestiegenen Lebenserwartung haben Großmütter des Jahrgangs 1940, so zeigt es die Studie exemplarisch, etwa dreißig Jahre gemeinsame Zeit mit den Enkeln. Der Großvater hat ein paar Jährchen weniger.

Gewinn für die Enkel

„Für Kinder ist es ein ungemeiner Vorteil, enge Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie zu haben. Großeltern können Werte vermitteln, aber auch die ungeteilte Aufmerksamkeit spenden. Man hat den Eindruck, dass viele Großeltern mit den Enkeln nachholen, was sie bei den eigenen Kindern verpasst haben“, resümiert Langmeyer-Tornier, die sich im Rahmen der oben genannten Studie intensiver mit dem Thema befasst hat.

Die Tatsache, dass die Beziehung zwischen Enkeln und Großeltern heutzutage enger als noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist, liege auch daran, dass Großeltern sich mehr mit den Kindern beschäftigen, statt nur deren elementare Bedürfnisse zu befriedigen. In der 37Grad-Reportage „Verbündete im Leben – Großeltern und Enkel“ wird deutlich, dass die Beziehung zu den Enkeln manchmal auch eine eigenständige, von den Eltern losgelöste ist, die bis ins Erwachsenenalter nicht an Qualität verliert.

Man erhält den Eindruck, dass zudem auch eine größere Schnittmenge an gemeinsamen Interessen über Generationen besteht. So berichtet Ingeborg, wie sie gemeinsam mit ihrer erwachsenen Enkelin vegan kocht und Spaß daran hat, alte Familienrezepte neu aufleben zu lassen. Hans-Joachim aus Bergisch-Gladbach geht mit über neunzig Jahren mit seinem Enkel Niclas auf die Gamescom, die weltweit größte Messe für Video- und Computerspiele. Er genießt es, dass sein Enkel ihn in den neuen Technologien unterweist und letzten Endes hat er so viel Spaß am Zocken, dass sein Enkel ihn als „Propa“ zum erfolgreichen Youtuber mit dreißigtausend Followern gemacht hat.

Wahrscheinlich sind solche Sachverhalte eher selten. Jedoch ist ein allgemein großes Engagement gegenwärtiger Großeltern zu beobachten, auch wenn sie aufgrund der geografischen Distanz oder eigener Interessen vielleicht nicht immer verfügbar sind. Die Funktion der Großeltern ändert sich mit zunehmendem Alter der Enkel. Die Betreuungsleistung derselben ist bei kleineren Enkelkindern nicht zu vernachlässigen. Großeltern springen oftmals ein, wenn die Kita früher schließt oder die Eltern einen beruflichen Termin haben. So sind es im Schnitt fast fünfhundert Stunden im Jahr, die die Enkel von den Großeltern betreut werden.

Gewinn für die Großeltern

Eine Oma und ein Opa tragen ihre zwei Enkel auf den Schultern und lachen.
© iStock-skynesher

Nicht nur die Enkel profitieren vom Umgang mit den Großeltern. Der Psychologe Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, erklärt in einem Online-Interview, dass man nicht eindeutig belegen könne, dass Großeltern wirklich älter würden als andere Zeitgenossen. Es gebe kein allgemeingültiges Modell für Gesundheit im Alter. Es würden jedoch immer wieder Zusammenhänge zwischen Wachheit im Alter, geistiger Beweglichkeit und den Lebensumständen in Studien nachgewiesen. Und es gebe in der Tat Hinweise darauf, dass sich das „Kümmern“ und die Beschäftigung positiv auswirken würden, egal ob es die eigenen Enkel oder „soziale Enkel“ sind.

„Die Forschung konnte immer wieder belegen, dass kognitive Herausforderung und soziale Interaktion besonderen Einfluss auf die Entwicklung im Alter haben: auf die allgemeine Zufriedenheit, auf intellektuelle Leistungsfähigkeit, vermutlich auch auf die physische Gesundheit. Und das muss keineswegs auf leibliche Großeltern beschränkt sein“, so Hertwig.

Offen sei, welche Kausalmechanismen eine längere Lebenszeit bewirken würden. Möglicherweise seien großelterliche Aktivitäten hilfreich im Kontext kardiovaskulärer Erkrankungen, einfach, weil man mehr in Bewegung ist. Planen, Organisieren, das Sich-Auseinandersetzen – all das könne möglicherweise helfen, den kognitiven Abbau zu verlangsamen. Auch hormonelle Veränderungen könnten günstig wirken, wie beispielsweise das „Bindungs-Hormon“ Oxytocin. Ungünstig sei es, wenn die Erfordernisse, beispielsweise den übermäßigen Einsatz zur Betreuung der Enkel, Stress verursachen würden.

Dreiecksbeziehung

Wichtig sei, so Langmeyer-Tornier, zu bedenken, dass die Qualität der Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln immer davon abhängt, wie gut das Verhältnis zwischen Eltern und Großeltern ist. „Wir haben es immer mit einer Dreiecksbeziehung zu tun. Ist die Beziehung der Eltern zu den eigenen Eltern gut, kann dieselbe ein Türöffner für einen engen Kontakt mit den Enkelkindern sein“, erläutert die Sozialwissenschaftlerin. In der Regel sei der Kontakt zu den Großeltern mütterlicherseits besser. Dies liegt daran, dass Frauen generell familiäre Beziehungen in der Regel besser pflegen.

Nicht selten kommt es auch vor, dass Frauen gerade mit der Schwiegermutter ein kompliziertes Verhältnis haben, vor allem wenn der Kontakt zwischen Mutter und Sohn „dünn“ oder konfliktbehaftet ist. Die Volksweisheit „Wenn der Sohn heiratet, verliert man einen Sohn, wenn die Tochter heiratet, gewinnt man einen Sohn“ verrät, was für eine große Rolle Verlustängste im sozialen Familiengefüge spielen können. Jedoch muss man bei alldem auch beachten, wie kompliziert heutzutage soziale Beziehungen aufgrund der zunehmenden Individualisierung generell sind.

„Der Kontakt der Großeltern zu den Enkeln kann ebenfalls ganz neue Konfliktfelder eröffnen,“ ergänzt Langmeyer-Tornier. „Oftmals sind gerade Vorstellungen über Süßigkeiten- oder Medienkonsum ganz andere. Inwiefern man hier einvernehmliche Absprachen treffen muss, hängt davon ab, wie viel Zeit die Enkel bei den Großeltern verbringen.“

Stöbert man in Internetforen umher oder kramt man auch nur im eigenen Erfahrungsschatz, begegnen einem noch einige weitere Themen, zu denen man sich als Eltern im Vergleich zu den Großeltern generationen- oder persönlichkeitsbedingt anders positioniert, die regelmäßig für Streit sorgen können. Freilich hängt die Fähigkeit, sich konstruktiv darüber einigen zu können, auch massiv von der Qualität der Beziehung ab. Und zudem sollte man den Eltern, wie auch sich selbst, etwas Zeit einräumen, bis sich das Verhältnis untereinander so „eingependelt“ hat, dass alle Beteiligten profitieren können.

Großeltern in Patchwork - Beziehungen

Wenn Eltern sich trennen, brechen oftmals auch familiäre Strukturen auseinander, unter anderen auch der Kontakt zu den Großeltern. Der Psychologe Hans Dusolt hat ein Buch darüber geschrieben („Oma und Opa können helfen: Was Großeltern bei Trennung oder Scheidung tun können“), wie wichtig es ist, dass die Großeltern nicht noch Öl ins Feuer gießen. Sie sollten möglichst keine Partei für ein Elternteil ergreifen, denn das würden die Enkel selbst dann spüren, wenn sie es unterbewusst täten.

Das Problem sei, dass sich Kinder nach der Trennung oftmals bei den eigenen Eltern „ausheulen“ würden und diese sich auch solidarisch zeigen würden. Dies könne man aber auch tun, indem man zuhört und Hilfe anbietet, man müsse nicht unbedingt den anderen Elternteil schlechtreden.

Auch die bereits zitierte Studie geht auf Patchwork-Familien ein und auf „neue“ (soziale) Enkel, die man vielleicht durch eine Trennung und neue Partnerschaft hinzugewinnt. Es zeige sich, dass biologische Großeltern nach wie vor stärker eingebunden würden als soziale. Leibliche Großmütter würden die größte Betreuungsfunktion übernehmen, deutlicher intensiver als die Stiefomas. Möglicherweise bleibt der Umgang zu den Eltern mütterlicherseits enger, da derselbe ja ohnehin als der intensivere Kontakt herausgestellt wird, zumindest statistisch betrachtet.

Weitere Informationen zum Thema

Cover des Buches "Oma und Opa können helfen". Es sind eine ältere Frau und ein älterer Mann mit einem Kind zu sehen.

Buchtipp

Hans Dusolt, Opa und Oma können helfen – Was Großeltern bei Trennung oder Scheidung tun können, Beltz-Verlag, 2004 ISBN 978-3-407-22876-5, 12,90 Euro