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Mobbing-Opfer brauchen Hilfe von außen

01.02.2021

Wenn Schüler Opfer von Mobbing werden, brauchen sie Hilfe, um sich aus dieser Rolle zu befreien. Was können Eltern und Lehrer tun, um die gewaltvolle Dynamik zu stoppen?

Die Klassenkameraden auf dem Pausenhof drehen sich weg, wenn ein bestimmtes Kind dazukommt und behandeln es wie Luft. Eine Mütze wird vom Kopf gerissen und unter Gejohle auf dem Gang hin und her geschmissen. Im Klassenchat machen sich alle über ein peinliches Foto eines Kindes lustig. Machtspiele unter Gleichaltrigen, die vermutlich in vielen Schulen zum Alltag gehören. Doch wo hören Hänseleien auf und fängt das an, was man gemeinhin „Mobbing“ nennt? Und was können Eltern und Lehrer tun, wenn ein Kind ein Opfer davon geworden ist?

Wie entsteht Mobbing?

Anruf bei Jochen Bender. Er arbeitet in der Schulpsychologischen Beratungsstelle und berät Familien und Lehrer, die genau vor dieser Frage stehen. „Für Mobbing braucht es eine soziale Gruppe“, erklärt er. „Das ist in unserem Fall eine Klasse, in der ein starkes Kind, ein sogenannter „Akteur“, seine Dominanz erreichen will, indem es ein anderes Kind klein macht. Und zwar nicht nur einmal, sondern regelmäßig. Damit es damit durchkommt, braucht es eine bestimmte Arena: Mitschüler, die sich auf seine Seite stellen und sein Verhalten befeuern und solche, die sich nicht trauen einzugreifen. Innerhalb dieser Gruppendynamik schafft es das gemobbte Kind dann nicht mehr, der Situation ohne Hilfe von außen zu entkommen.“

Der UNESCO zufolge erfährt jeder dritte Schüler in seiner Schullaufbahn einmal diese Form von Gewalt. Mit der zunehmenden Verlagerung der Schikanen in den virtuellen Raum ist die Tendenz steigend. Dabei kann sich die Erfahrung, Zielscheibe eines Konflikts geworden zu sein, der auf Willkürlichkeit und einem großen Kräfteungleichgewicht basiert, bei Opfern noch Jahre später mit Depressionen oder Angststörungen niederschlagen.

Wie sollen Eltern zuhause reagieren?

Was also tun, wenn das Kind zuhause davon berichtet, in der Schule systematisch schikaniert zu werden? Bender rät erst einmal zu dem Naheliegendsten: „Es trösten und in Schutz nehmen und ihm sagen, dass das nicht in Ordnung ist, was da passiert“. Doch was so naheliegend erscheint, kann für das Kind oft lange Zeit jenseits des Vorstellbaren gewesen sein.

Es können Wochen oder Monate vergehen, bis Mobbingopfer ihren Eltern oder Lehrern von ihrem Leid berichten. Zu groß ist die Scham, in so eine Situation geraten zu sein und die Angst, was passieren könnte, wenn das rauskommt, was auf dem Pausenhof als „Petzen“ verschrien ist. Außerdem hat sich die Selbsteinschätzung des Kindes durch die Demütigungen oft so verändert, dass es selbst schon glaubt, diese Behandlung auch irgendwie „verdient“ zu haben. Das Naheliegende –  also Trost, Schutz und die Versicherung, dass das nicht richtig ist, was da passiert –  lag da lange in weiter Ferne.

Dabei kann das, „was da passiert ist“, ganz unterschiedliche Formen annehmen: Ausgrenzung und Diffamierung, Rempeleien und Schläge, Erpressung und Diebstahl. Und natürlich das Ächten und Hetzen in den sozialen Netzwerken. Cybermobbing nennt man dieses Mobben im Netz und die Mobber „Hater“. Laut einer Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing und der Technikerkrankenkasse (2020) ist jeder sechste Schüler von dieser Form des Mobbings betroffen.

Wie aber eingreifen in diese Gruppendynamik?

Vom beherzten Griff zum Telefonhörer, um die Eltern des Akteurs anzurufen, rät Bender ab: „Das macht die Sache meist nur schlimmer“. Stattdessen empfiehlt er, den Konflikt dort zu klären, wo er angefangen hat: In der Schule. Eltern sollten das Gespräch mit dem Klassenlehrer oder der Klassenlehrerin suchen und gegebenenfalls auch die Beratungslehrer oder Schulleitung mit einbeziehen. Sollte es hier keine Bereitschaft zur Hilfe geben, können sie sich an die Schulpsychologische Beratungsstelle wenden.

Für das Gespräch mit den Lehrern gibt Bender einen Rat, der erst mal verblüfft. „Vermeiden Sie das Wort „Mobbing“.“ Zu aufgeladen sei es mit Vorwürfen und Erwartungen und oft habe er erlebt, dass sich gegenüberstehende Parteien nur noch darum stritten, ob die Angelegenheit nun unter den Begriff Mobbing falle oder nicht, während sie bei der Lösung des Problems keinen Schritt weitergekommen seien. Bender rät, das Leid des Kindes in den Vordergrund zu stellen. Statt von „Mobbing“ solle man lieber von „Vorfällen“ sprechen. Und von diesen dafür umso genauer.

Dafür hat die Schulpsychologische Beratungsstelle ein „Tagebuch der Vorfälle“ erstellt (kann auch auf unserer Homepage heruntergeladen werden), in dem detailliert dokumentiert werden kann, was geschehen ist. Opfer von Cybermobbing sollten zusätzlich Screenshots von Beleidigungen oder Hass-Postings machen. „Wenn man das mal systematisch hat, ist es leichter, mit den Lehrern zu sprechen“, findet Bender.

Wie sollen Akteure in der Schule reagieren?

Und gibt denen außerdem erste Anhaltspunkte, um den Konflikt innerhalb der Klasse zu lösen. „Schule ist zum Lernen da“, meint Bender, „und das betrifft auch die soziale Kompetenz.“ Aufgabe der Lehrer in einem Mobbingfall sei es daher, im Gespräch mit der Klasse die jeweiligen Rollen in der Gruppe aufzubrechen, die aktive des Täters, aber auch die passiven der Zuschauer. Ohne Schuldzuweisungen müssen Auswege aus der Gruppendynamik entwickelt und sich darauf verständigt werden, dass niemand andere herabsetzen darf. Und dass, wenn es doch geschieht, jeder einzelne einschreiten muss.

Ein Schulwechsel oder das Einschalten der Polizei sollte nach Bender den letzten Ausweg aus der Situation darstellen. „Lieber sollte man der Schule erst einmal die Chance geben, das Problem innerhalb der Klasse zu lösen“, findet er. „Kinder brauchen nicht nur Erfolge und Bestätigung, sie lernen auch aus Misserfolg und Streit, wenn sie dabei entsprechend unterstützt werden. Wenn ihnen die Lehrer in einem Mobbingfall ausreichend Schutz und Unterstützung anbieten, können am Ende alle gestärkt daraus hervorgehen mit dem Wissen: „Wir haben das gemeinsam ausgehalten und gelöst“.“

- Die Schulpsychologische Beratungsstelle Stuttgart bietet Schülern, Eltern und Lehrern Beratung und Hilfe u.a. bei Mobbing an: Tel: 6376200, www.schulamt-stuttgart.de.

- Hilfe bei Cybermobbing bietet Juuuport.de:
Wie sammelt man Beweise von Beleidigungen im Netz, wie kann man verletzende Inhalte löschen lassen und ab wann erfüllt Cybermobbing einen Strafbestand?

Zur Person:
Jochen Bender arbeitet als Psychologierat an der Schulpsychologischen Beratungsstelle Stuttgart. Sie ist Teil des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg. Außerdem schreibt er Krimis. In seinem jetzt erschienenen Roman „Tödliches Cannstatter Zuckerle“ (Schwabenkrimi) geht es auch um einen Mobbingfall.