Das Bild zeigt einen Vater mit zwei Kindern, wobei er das Jüngere an der Hand hält, die mit Wanderausrüstung im Wald spazieren sind.
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Kinder fürs Wandern begeistern

01.05.2020

„Ich kann nicht mehr!“, „Wann sind wir endlich am Gipfel?“ und „So was mache ich NIE WIEDER!“ sind nur eine Auswahl aus dem reichen Fundus an Beschwerden, die Eltern aus dem Munde ihrer Kinder hören können, sobald sie gemeinsam die Wanderstiefel geschnürt und die ersten hundert Meter eines Ausflug bewältigt haben. Dabei könnte doch alles so schön sein, jetzt, wo es draußen wieder grünt, in Corona-Zeiten frische Luft so gut tut und – wie war das noch gleich? – die Bächlein von den Bergen springen und die Lerchen schwirren hoch vor Lust.

Warum sich das Wandern als Familie lohnt und womit man es den Kindern schmackhaft machen kann, hat Anne Kraushaar den Autor Dieter Buck gefragt. Der hat rund 150 Wanderführer geschrieben und muss es schließlich wissen.

Herr Buck, unter den vielen Wanderbüchern, die Sie veröffentlicht haben, befinden sich auch drei Wanderführer für Familien in der Region Stuttgart, die sie gemeinsam mit Ihrer Tochter Melanie Buck geschrieben haben. Waren Sie und Ihre Tochter schon immer ein gutes Wander-Gespann?

Ab dem Alter von fünf Jahren konnte ich mit ihr recht gute Strecken laufen. Wichtig war nur, dass ich ihr währenddessen viele Geschichten erzählt habe. Das hielt sie lange Zeit bei der Stange. Mit etwa zehn Jahren war es aber dann aus und sie wollte nicht mehr mit. Aber das ist wahrscheinlich normal und war bei mir als Kind nicht anders. Für meine Eltern muss es ab einem gewissen Zeitpunkt eine Qual gewesen sein, mich mitzunehmen.

Später scheint Ihre Freude am Wandern aber wiedergekommen zu sein?

Ich denke, das ist bei allen so, die als Kind erlebt haben, wie es ist, rauszukommen in die Natur. Irgendwann, wenn man die Pubertät, das Studium oder die Ausbildung überstanden hat, kommt die Freude daran zurück. So war es bei mir und so war es bei meiner Tochter, die mittlerweile wieder eine begeisterte Wanderin ist. Etwas anderes ist es, wenn die Eltern nie mit einem wandern gegangen sind. Dann ist es später schwer, aus sich selbst heraus eine Begeisterung dafür zu entwickeln, wenn man nicht einen Partner oder Freunde hat, die einen in dieser Hinsicht mitziehen.

Was nehmen die Kinder denn von einer gemeinsamen Wanderung mit, was sie zum Beispiel bei einem Besuch im Schwimmbad nicht erleben?

Im Schwimmbad tobt das Kind im Wasser und spielt eine Runde Tischtennis. Wenn es dann auch noch zufällig auf ein paar Freunde trifft, verschwindet es ganz von der Bildfläche. Das ist ja auch alles in Ordnung so. Aber es ist eben auch immer das Gleiche. Wenn man gemeinsam mit seinem Kind etwas erleben und entdecken möchte, dann muss man raus in die Natur. Dort trifft man, egal wo man hingeht, immer auf etwas Neues und schafft damit besondere Momente und Erinnerungen, die einen als Familie zusammenschweißen. 

Erleben die Kinder ihre Eltern in der Natur auch anders als im gewohnten Umfeld?

Daheim in der Wohnung sind die Rollen innerhalb der Familie ja ziemlich festgelegt. Beim Wandern dagegen kann man auch mal in ungewohnte Situationen kommen, etwa wenn man sich verlaufen hat und die Eltern plötzlich ganz ratlos vor der Wanderkarte stehen. Das kann ein Kind verängstigen, aber es ist auch ein Erfolgserlebnis, wenn es später merkt, dass man die Situation gemeistert und doch noch heimgefunden hat. So ein gemeinsames Erlebnis hat man nicht, wenn man zuhause bleibt und Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielt. 

Was muss denn eine Strecke bieten, um für Kinder attraktiv zu sein?

Es muss immer wieder eine Abwechslung kommen. Forstwege oder lange Wege am Feld entlang sind weniger spannend, zumal heute ja fast überall nur noch Mais angebaut wird. Das stinkt einem schon als Erwachsenem, da entlangzugehen und das Kind fängt nach ein paar Metern an zu quengeln. Im Wald dagegen entdeckt man immer etwas: einen Felsen zum Klettern, Baumstämme zum Drüberlaufen oder einfach nur eine kleine Maus. Auch Moore sind für Kinder interessant. Da sehen sie Käfer, Schmetterlinge und Libellen und, wenn sie Glück haben, vielleicht sogar mal eine Schlange oder fleischfressende Pflanze.

Im Moorwald bei Bad Buchau am Federsee kann man sogar die Bäume zum Wackeln bringen, wenn man nur kräftig genug auf den Boden springt. Kurz: Wenn man den Kindern auf einem Weg viel Abwechslung bietet, merken sie gar nicht, dass sie laufen, weil um sie herum alles so spannend ist. Man muss ihnen dann aber auch die Zeit geben, sich auszutoben oder sich etwas genauer anzuschauen.

 

Wie viele Kilometer kann man Kindern beim Wandern denn zumuten?

Man sollte sich nicht zu große Ziele setzen, was die Länge der Strecke angeht. Wenn man Kinder ab einem gewissen Punkt zum Laufen zwingen muss, verleidet man ihnen alles und dann wollen sie später nicht mehr mitkommen. Grundsätzlich gilt: Sobald das Kind laufen kann, also etwa ab drei Jahren, kann man schon Spaziergänge von circa zwei Kilometern machen, den Buggy kann man ja mitnehmen. Ab sechs Jahren kann man in der Regel schon acht Kilometer, also zwei Stunden, laufen. Man staunt ja, zu was Kinder so im Stande sind, wenn sie nur Lust darauf haben.

Selbst diejenigen, die auf den letzten Metern der Wanderung todmüde waren und keinen Schritt mehr gehen wollten, sind später auf dem Rastplatz wieder voller Energie und „klettern den Spielplatz rauf und runter.“ Es liegt bei Kindern ja nie an der Kondition, wenn sie schlappmachen, sondern an der Langeweile.

Wie kann man der Langeweile jenseits der Streckenauswahl vorbeugen?

Schon kleineren Kindern kann man zum Beispiel ihren eigenen Rucksack aufsetzen, mit einem kleinen Vesper drin und etwas zu trinken, dem Lieblingskuscheltier und ein paar Spielsachen für unterwegs – vom Taschenmesser über eine Schnur, Papier, Schere und Stifte. Damit lassen sich im Wald prima Rindenhäuschen bauen und schon ist die Langeweile wieder vertrieben. Größeren Kindern kann man auch schon einmal eine Landkarte in die Hand drücken und sagen: „So, jetzt führst du uns mal“.

Und immer ziehen natürlich Geschichten, die zur Wanderung passen. In unserem Buch „Auf geht’s, Kinder!“ haben meine Tochter und ich uns deshalb passend zu jeder Strecke Spiele oder Rätselfragen überlegt, die die Kinder bei Laune halten.

In dem Vorwort zu diesem Buch erwähnen Sie Ronja Räubertochter, die von ihrem Vater immer ermahnt wurde, sich im Wald vor dem Fluss und dem Höllenschlund zu hüten – und dann als allererstes natürlich genau diese Orte aufsucht. Wie wichtig ist es für Kinder, in der Natur auch mal unbekannte Orte zu erkunden, an denen gewohnte Sicherheiten nicht gelten?

Für die Entwicklung ist es sicher wichtig, dass die Kinder auch mal ihre Grenze ausloten. Natürlich muss man vorher schon gucken, dass sie das nicht gerade an einem steilen Abhang machen oder an einem Baumstamm, der ins Rollen geraten kann. Aber wenn es in einem relativ ungefährlichen Bereich ist, ist es für Kinder toll, Selbsterfahrungen zu machen und in der Natur auszutesten, was sie schon schaffen und was noch nicht.

Welche Regionen eignen sich besonders für Ausflüge mit Kindern?

Im Stuttgarter Bereich gehört für mich der Wald rund um die Parkseen beim Bärenschlössle zum Schönsten an Natur in der Stadt. Auch wunderschön sind die Weinberge in Ober- und Untertürkheim. Die vielen Kleingärten dort bieten auch Kindern immer etwas zum Gucken. Etwas weiter weg sind die Wachholderheiden zwischen Böblingen, Aidlingen und Weil der Stadt reizvoll oder der Venusberg im Landkreis Böblingen, bei dem man die Vielfalt der Heckengäulandschaft erleben kann.

Und wenn man mal eine Übernachtung einplanen möchte?

Dann könnte man sich vorher bei den Wandervereinen schlau machen, die ja auch Heime und Hütten haben, in denen man übernachten kann. Auf dem Roßberg bei Pfullingen etwa hat der Schwäbische Albverein ein Wanderheim im Roßbergturm. Wenn man Glück hat, bekommt man ein Zimmer ganz oben, direkt unter der Aussichtsplattform. Dort am Morgen zuzuschauen, wie die Sonne über den Rand der Schwäbischen Alb aufgeht, das ist schon ein Erlebnis – für Eltern wie für Kinder.

Zur Person:

Dieter Buck schreibt seit vielen Jahren Wander- und Radwanderführer. In der Wochenendbeilage der „Stuttgarter Zeitung“ und der „Stuttgarter Nachrichten“ gibt er regelmäßig Ausflugstipps. Gemeinsam mit seiner Tochter Melanie Buck hat er zuletzt im Silberburg-Verlag den Familienwanderführer „Auf geht`s, Kinder! Familientouren mit dem VVS“ veröffentlicht.

 

Das Portrait zeigt den Autor Dieter Buck lächelnd in kariertem Hemd mit Rucksack in der Natur.
© Titus Häussermann

Buchtipp:

Dieter Buck, Melanie Buck, Auf geht’s, Kinder! Familientouren mit dem VVS, Silberburg Verlag, 14,90 Euro, ISBN: 978-3-8425-2048-6


 

 

Das Buchcover zeigt in der oberen Hälfte drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, wie sie durch hohes Gras wandern, wobei in der unteren rechten Hälfte das VVS Logo mit einem orangenen Kringel in weißen Kreis und dem Schriftzug VVS in schwarz zu erkennen