Jede dritte Geburt in Deutschland ist ein Kaiserschnitt. Oft lebensrettend und notwendig, aber häufiger als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) es medizinisch notwendig erachtet. Bei vielen Frauen bleiben Narben auf der Seele. Doch jede Geburt verdient Anerkennung.

Schnittstelle im Leben

Mutter und Vater betrachten ihr neugeborenes Baby. Sie befinden sich in einem OP-Saal.
© istockphoto Don Bayley

In den letzten zehn Jahren haben sich die Geburten per Kaiserschnitt fast verdoppelt. Obwohl ein Kaiserschnitt oft lebensrettend ist, handelt es sich um eine Operation mit entsprechenden Risiken. Bei Neugeborenen können Atemprobleme auftreten; Studien zeigen ein erhöhtes Risiko für Allergien, Asthma und Diabetes. Statistiken belegen, dass Komplikationen bei Müttern doppelt so häufig sind wie bei vaginalen Geburten.

Viele Frauen leiden auch unter psychischen Problemen nach einem Kaiserschnitt. Einige verspüren psychischen Druck, andere empfinden ihn als traumatisch – besonders bei einem sekundären Kaiserschnitt, wenn nach Geburtsbeginn aufgrund von Komplikationen operiert wird.

Anja ist eine von ihnen. Nach über zehn Stunden Wehen verschlechterte sich der Zustand ihres Babys: „Mein Wunsch nach einer natürlichen Geburt endete im OP. Natürlich bin ich froh, dass es uns gut geht, aber ich weiß nicht, ob der Kaiserschnitt wirklich nötig war. Das macht mich wütend und hilflos.“

Seit 2020 gibt es eine evidenzbasierte Leitlinie zum Kaiserschnitt, die helfen soll, die beste Entscheidung für die Geburtsmethode zu treffen. Wichtig ist ein ausführliches Aufklärungsgespräch zwischen werdenden Eltern und betreuendem Personal. Nur einer von zehn Kaiserschnitten ist laut WHO zwingend notwendig – etwa bei einer Plazenta vor dem Muttermund oder einem Gebärmutterriss. In den übrigen Fällen liegt eine relative Indikation vor, etwa ein vorheriger Kaiserschnitt, Beckenendlage oder – wie bei Anja – schlechte Herztöne des Kindes. Hier unterscheiden sich die Entscheidungen von Kliniken deutlich, wie regionale Unterschiede zeigen. Baden-Württemberg liegt mit 32 Prozent im Durchschnitt.

Mehr Kaiserschnitte durch verändertes Sicherheitsdenken

Ärtze stehen in einem OP-Saal. Ein Arzt hält ein Neugeborenes in den Händen.

„Eine komplikationslose spontane Geburt ist immer die beste Alternative“, sagt Privatdozent Dr. Manfred Hofmann, Chefarzt am Marienhospital in Stuttgart. „Aber es ist auch eine Ermessensfrage, ob der Geburtshelfer das Risiko auf sich nehmen kann, noch abzuwarten, wenn unter der Geburt Probleme auftreten.“ Für ihn, wie für viele Kolleginnen und Kollegen, liegt ein wesentlicher Grund für die gestiegene Zahl an Kaiserschnitten in einem gesellschaftlichen Wandel insbesondere im Sicherheitsdenken von Eltern, medizinischem Personal und nicht zuletzt der Politik.

„Wenn bei einer spontanen Geburt ein Schaden entsteht, ist die Klagebereitschaft deutlich gestiegen, von Eltern, aber auch von Krankenkassen. Die Haftungsrisiken sind enorm“, erklärt Hofmann. Vor Gericht heiße es dann schnell, der Kaiserschnitt sei zu spät erfolgt. Diese rechtliche Unsicherheit beeinflusse zunehmend ärztliche Entscheidungen im Kreißsaal.

Vor diesem Hintergrund dürfte auch die von der Politik angestoßene Reform der Geburtshilfe und Perinatalmedizin kaum zu einem Rückgang der Kaiserschnittrate führen. Die Regierungskommission für Krankenhausversorgung empfiehlt, bereits bei einem minimalen Verdacht auf mögliche Komplikationen eine Klinik mit angeschlossener Kinderklinik zu wählen.

Hebammengeführter Kreißsaal

„Das hat großen Einfluss auf die Selbstbestimmung der Schwangeren“, erklärt Hofmann. Der Kreis „erlaubter“ Geburtskliniken werde so für die schwangere Frau eingeschränkt und es könnten weite Wege und unschöne Verlegungen nötig werden. Dabei wünschen sich viele Schwangere eine möglichst natürliche und interventionsarme Geburt. Im Stuttgarter Marienhospital wurde nun ein hebammengeführter Kreißsaal geschaffen. Das Ziel: Frauen darin zu bestärken, aus eigener Kraft zu gebären. „Wir als ärztliche Geburtshelfer sind dann unmittelbar in standby, falls Komplikationen auftreten“, so Hofmann.

Selbstbestimmte Geburt

„Ich habe das Gefühl, dass es in Deutschland eine aggressive Diskussion um die Art des Kinderkriegens gibt – nach dem Motto: Wer hat sich bei der Geburt am meisten angestrengt. Ich hatte zwei geplante Kaiserschnitte und das Gefühl, mich ständig rechtfertigen zu müssen“, sagt Isabelle. Sie entschied sich bewusst für eine Kaiserschnittgeburt ohne medizinische Notwendigkeit – ein seltener Fall. Denn entgegen verbreiteter Annahmen spielt der ausdrückliche Wunsch der Eltern nur eine geringe Rolle: Lediglich zwei Prozent aller Kaiserschnitte erfolgen ohne medizinische Indikation.

„Bei den Kreißsaalführungen erlebe ich, dass sich Frauen sehr intensiv mit der Frage der Geburtsart auseinandersetzen“, berichtet Chefarzt Hofmann. Er plädiert für eine Geburt, bei der die Autonomie der Frau im Mittelpunkt steht. Jede Schwangere habe das Recht, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchte – sei es spontan oder per Kaiserschnitt. Entscheidend sei, dass diese Entscheidung gut informiert und frei von gesellschaftlichem Druck getroffen werden könne. Denn ob geplant oder ungeplant, medizinisch notwendig oder auf Wunsch – keine Form der Geburt sollte stigmatisiert werden. Letztlich gehe es darum, dass Mutter und Kind gesund sind und sich mit dem Geburtserlebnis im Reinen fühlen können.

Zu frühes Eingreifen in den Geburtsverlauf

Eine selbstbestimmte Geburt wünscht sich auch Hebamme Lena Müller für Frauen. Sie betreut Schwangere im Geburtshaus Stuttgart. Aus ihrer Erfahrung steigt die Kaiserschnittrate vor allem dann, wenn früh in den Geburtsverlauf eingegriffen wird, etwa durch medikamentöse Einleitung oder dauerhafte Herztonüberwachung. Häufige Gründe für unnötige Kaiserschnitte sieht sie in mangelnder Aufklärung und sogenannten Interventionskaskaden.

Ihr Rat: Schwangere sollten sich frühzeitig informieren. „Das Internet ist dafür ungeeignet, denn jede Frau ist anders und definiert Sicherheit individuell“, sagt Müller und plädiert für eine kontinuierliche Hebammenbetreuung. „Hebammen sind die Fachpersonen für Schwangerschaft und Geburt. Sie sollten Frauen durchgehend begleiten und auf eine selbstbestimmte Geburt vorbereiten. Aufklärung über die Physiologie der Geburt und die Wahlmöglichkeiten stärkt werdende Eltern und hilft bei informierten Entscheidungen. Leider glauben viele noch immer, Hebammen seien nur fürs Wochenbett zuständig.“

Auch bei der Klinikwahl rät Müller zu Achtsamkeit. Nicht nur bei Lage und Ausstattung, sondern vor allem bei Faktoren wie Betreuungsschlüssel, Dammschnitt- und Kaiserschnittrate. Eine überdurchschnittlich hohe Kaiserschnittrate kann auf Personalmangel hinweisen. Wenn die Wehen einsetzen, sei es sinnvoll, in der Wunschklinik anzurufen und sich nach der aktuellen Belegung zu erkundigen. Ist diese stark ausgelastet, kann ein alternatives Krankenhaus die bessere Option sein.

Schuldgefühle

Viele Frauen mit Kaiserschnitt fühlen sich schlecht. Manche sind enttäuscht, weil sie sich ein anderes Geburtserlebnis gewünscht haben. Andere empfinden sich als Versagerinnen nach dem Motto: Ich habe es nicht einmal geschafft, mein Kind selbst zur Welt zu bringen. Einige kämpfen mit Schuldgefühlen. „Ich hatte einen geplanten Kaiserschnitt. Die Klinikärzte waren sehr einfühlsam, ich hatte ein gutes Gefühl dabei, unseren Sohn so zur Welt zu bringen. Aber die nachsorgende Hebamme war schroff, als hätte ich meinem Kind etwas Schlimmes angetan“, erzählt Birgit. Obwohl die Geburt Jahre zurückliegt, belastet sie das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, bis heute.

„Frauen mit geplantem Kaiserschnitt haben sich meist intensiv damit auseinandergesetzt“, sagt Chefarzt Hofmann. „Die meisten können das gut verarbeiten.“ Anders ist es bei Notkaiserschnitten. Viele erleben den Eingriff als überrumpelnd und fremdgesteuert – die Abläufe sind oft plötzlich und technisch. Am Marienhospital ist es üblich, die Geburt wenige Tage später mit der Mutter zu besprechen und zu erklären, warum es zum Kaiserschnitt kam. Auch Hebamme Lena Müller vom Geburtshaus Mitte bietet an, den Geburtsbericht gemeinsam durchzugehen: „Diese Frauen verdienen doppelte Anerkennung – oft haben sie viele Stunden Wehen hinter sich, bevor der Kaiserschnitt notwendig wurde.“ Sie empfiehlt viel Hautkontakt, Kuscheln mit dem Baby und gibt Stilltipps. Genauso wichtig sei es, Gefühlen Raum zu geben, zu weinen, Enttäuschung zuzulassen, loslassen. Das helfe beim seelischen Heilungsprozess. Um die Verbindung zur Geburt zu stärken, bietet Müller ein sogenanntes Heilbad an: Dabei legt sie das nasse Baby auf die nackte Brust der Mutter – ein Moment, der Nähe schafft und heilsam wirken kann.

Wenn Narben bleiben

Ein Kaiserschnitt hinterlässt Narben. Für manche Frauen wiegen die seelischen schwerer als die körperlichen. Hinzu kommt das zwiespältige Gefühl, dankbar sein zu müssen, weil Mutter und Kind gesund sind und doch traurig zu sein über den Verlust einer erhofften natürlichen Geburt. „Ich habe mich oft gefragt, ob ich undankbar bin. Der Notkaiserschnitt hat meinem Kind das Leben gerettet – und trotzdem konnte ich die Trauer darüber, nicht natürlich gebären zu können, jahrelang nicht loslassen“, erzählt Maria. Für sie war die Geburt ein traumatisches Erlebnis.

Vielen hilft es, offen über das Erlebte zu sprechen – vor allem mit anderen Müttern, denen es ähnlich geht. Der Austausch kann entlasten, Verständnis schaffen und dazu beitragen, das eigene Geburtserlebnis besser zu verarbeiten.

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