Hilfe! Teenager in der Pubertät

23.04.2024

Die Zeit der Pubertät hält viele Überraschungen bereit. Die Teenager schimpfen, werden zornig, sind ungehalten und kurz darauf brechen sie in Tränen aus oder ziehen sich zurück. Schuld sind unter anderem Prozesse im Gehirn.

Wie erkenne ich, dass mein Kind in der Pubertät ist? Ganz einfach, wenn es aus nichtigem Grund völlig impulsiv reagiert und im nächsten Moment in tiefe Melancholie und Wortkargheit verfällt. Aber auch, wenn sich der Nachwuchs gerade noch übertrieben überheblich zeigt und gleich darauf unsicher zu scheitern droht. Dann ist es soweit…

In der Pubertät verändern sich Körper und Psyche, so dass Kinder nicht mehr wiederzuerkennen sind. Und genau das macht Eltern rat- und hilflos, denn rational ist das Verhalten des Nachwuchses häufig schwer zu erklären.

Einfacher zu verstehen ist es, wenn man begreift, dass sich das Gehirn der Pubertierenden im Umbau befindet. Besser gesagt, es ist eine Großbaustelle. Während übliche Bau­vor­haben in Stadt und Land Schritt für Schritt entwickelt werden und logisch aufeinander abgestimmt sind, ist die Baustelle Gehirn bei den Jugendlichen eher ein Chaosvorhaben. Nicht alle Bauabschnitte werden gleich schnell und aufeinander aufbauend fertiggestellt.

Pubertierende sind risikobereit

Das Resultat sind Jugendliche, deren Verhalten nicht berechenbar ist und die in vielen Situationen nur schwer zu verstehen sind. Man könnte meinen: „Gut, dann lassen wir sie mal machen und warten einfach ab, bis es vorbei ist.“ Aber Pubertierende sind besonders risikobereit, leichtsinnig und neigen dazu, sich unüberlegt auszuprobieren und Ratschläge zu ignorieren. Deshalb sollte man aufmerksam sein, was ihre Veränderungen betrifft und ein Auge auf sie haben.

„Mit beginnender Pubertät kann es zu vielerlei entwicklungsbedingten Veränderungen kommen“, erklärt Hans Hopf, Kinder und Jugendlichenpsychotherapeut. Diese lösen sich manchmal ab, so dass ein Problem auf das andere folgt. „Zum Glück verschwinden sie oft wieder“, ergänzt Hopf.

Jugendlicher sitzt auf einer Treppe und hält seinen Kopf in den Händen.

Trotzdem weist der Therapeut auf Risiken und psychische Gefährdungen hin. Grundsätzlich sind Mädchen eher gefährdet, ihrem Körper Schaden zuzufügen, während Jungen soziale Probleme entwickeln. Magersucht, Selbstverletzungen wie Ritzen oder Alkohol- und Drogenmissbrauch können genauso auftreten, wie Aggressivität, Aufsässigkeit, Isolation und depressives Verhalten.

Das Gehirn muss reorganisiert werden

Kopf und Körper sind auf dem Weg, erwachsen zu werden. Bis zur Vollendung dauert es jedoch einige Monate, manchmal Jahre. Doch der Prozess beginnt überraschend plötzlich. „Der seelische Apparat eines Kindes befindet sich mit einem Mal in einem körperlich reifen Erwachsenenleib“, sagt Hopf. Die Vorstellung vom eigenen Körper muss sich deshalb verändern und in ein neues Bild integriert werden. Hopf nennt es seelische Umstrukturierung, die mit innerseelischen Auseinandersetzungen und Kämpfen einhergehen.

Im Zuge dessen ist eine grundlegende Reorganisation des Gehirns notwendig.

„Es kommt zum Abbau von synaptischen Verbindungen, einer Veränderung im Neurotransmittersystem und zu einer generellen Umgestaltung des Zentralnervensystems“, erklärt Hopf. Vor diesem Hintergrund müssen die seelischen Entwicklungsaufgaben, welche die biologischen Veränderungen von der Psyche einfordern, bewältigt werden.

Den eigenen Weg in der eigenen Welt finden

Wenn wir ins Gehirn schauen könnten, würden wir bereits zu Beginn der Pubertät sehen, wie sich die Großhirnrinde, die sogenannte graue Substanz im Gehirn verändert. Sie wird gebildet von Nervenzellen und Synapsen. Während in der Kindheit durch Lernprozesse stetig viele neue Nervenzellen und Verbindungen gebildet werden, werden diese nun in der Pubertät erschreckend schnell wieder aufgelöst. Nur diejenigen, die immer wieder verwendet werden, bleiben bestehen.

Die Veränderung der Strukturen im Gehirn sorgt nicht nur für Vergesslichkeit, sondern auch für Persönlichkeitsveränderungen. Denn genau diese Muster bieten auch den Rahmen für unsere Persönlichkeit und unseren Charakter. Wer sich in der Pubertät befindet, muss sich selbst und seinen Weg in der eigenen, neuen Welt finden und sein Ich-Bewusstsein neu entwickeln.

Zugleich kommt es zu einem Ausbau der Nervenfasern, über die die Informationen zwischen den Nervenzellen nun schneller vermittelt werden. Dieser Ausbau führt zu einer Zunahme der sogenannten weißen Substanz. Dadurch wächst die Geschwindigkeit der Hirn- und Denkprozesse. Die Jugendlichen entwickeln die Fähigkeit, genauso „schnell“ zu denken wie Erwachsene. Sie müssen jedoch lernen, dies richtig einzusetzen und zu steuern. Mit anderen Worten: Obwohl Hirnstrukturen sich auflösen, beschleunigt sich der Informationsfluss. Das verwirrt zu Recht.

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Gelassener begleiten, weniger streiten, in Kontakt bleiben

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Hormone führen zu Unberechenbarkeit

Großtuerei wechselt sich mit dem Gefühl von Ungenügen, zärtlicher Schwärmerei und plötzlich auftretender intellektuellen Kälte ab. „Pubertierende sind unberechenbar, ihr Verhalten bizarr und das erzeugt emotionale Wechselbäder“, weiß Hopf aus seiner Praxis. Auch Pädagogen fühlen sich häufig hilflos und Eltern empfinden den Umgang in dieser Zeit mit ihren Kindern oft als sehr schwierig. Die Zeit der Pubertät ist deshalb eine der krisenreichsten Abschnitte im Leben der Jugendlichen, aber auch der Eltern und Familien.

Ein Grund dafür ist aber auch das Hormon Dopamin, das in der Pubertät im Gehirn vermehrt ausgeschüttet wird. „Dopamin sorgt dafür, dass Heranwachsende verstärkt nach aufregenden Erfahrungen und beglückenden Sinneseindrücken gieren“, heißt es in dem Buch „Aufruhr im Kopf“ von Daniel J. Siegel. Jugendliche suchen vermehrt den „Kick“, den absoluten „Thrill“, das Mega-Ereignis. Das kann real passieren, aber auch im Video, also in einer virtuellen Welt. Dopamin wirkt erregend und wird auch als Glückshormon betitelt.

Zeitgleich setzt in der Pubertät auch ein Triebschub ein und die physiologisch-hormonelle Reifung erzeugt eine ganz neue Situation in Kopf und Körper. Während bei Tieren der Geschlechtsakt ein rein physischer Vorgang ist, spielt sich menschliche Sexualität dagegen weitesgehend im Kopf ab, in der Phantasie. Diese neuen Möglichkeiten des Denkens, Fühlens und Phantasierens verunsichern und brauchen Zeit. Wissenschaftlich ist der Umbauprozess im Gehirn noch nicht bis in letzte Detail geklärt, doch eins steht fest: Zur Zeit der Bauarbeiten muss mit Schwierigkeiten gerechnet werden.