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Gaming und Spielsucht: Was Eltern über Risiken wissen sollten

25.09.2025

Viele Kinder und Jugendliche machen wenigstens eine Phase durch, in der sie permanent Computerspiele spielen. In nicht gerade wenigen Familien kracht es regelmäßig, weil Eltern andere Beschäftigungen als wichtiger und gewinnbringender erachten und Suchtverhalten fürchten. Dass es nicht die Lösung aller Probleme sein kann, das Computerspielen komplett zu verbieten, können sich die meisten denken. Aber wie gelingt ein einigermaßen konfliktfreies Leben, ohne dass der Nachwuchs Schaden nimmt?

Eine aktuelle Längsschnittstudie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf untersucht Mediennutzungs- und Suchtverhalten von Heranwachsenden. Dabei muss man wissen, dass das „Gaming Disorder“ laut der elften Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD-11) eine anerkannte Erkrankung ist und Diagnosekriterien dafür festlegt.

Die Studie zeigt unter anderem, dass Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 17 Jahren in Deutschland im letzten Jahr werktags durchschnittlich 105 Minuten, am Wochenende fast drei Stunden mit Gaming verbrachten. Guten drei Prozent von ihnen könne man eine „pathologische Nutzung“ nachweisen. Jungen seien fast doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Eltern würden ihre Kinder häufig kaum begleiten, sich zu wenig informieren und die Medienkompetenz der Kinder wenig fördern, die in Zeiten von Cybergrooming, Cybermobbing, Kostenfallen und Fake News immer wichtiger wird.

Kinder digital begleiten

Dr. Jakob Florack, Chefarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Sankt Joseph Krankenhaus in Berlin, der sich unter anderem auf Videospiel- und Internetabhängigkeit spezialisiert hat, plädiert dafür, die Kinder schon früh begleitet mit digitalen Medien vertraut zu machen, damit sie die Medienkompetenz entwickeln, die sie in unserem Zeitalter benötigen.

Wenn Eltern das Gefühl haben, sich selbst nicht auszukennen und befürchten, den Nachwuchs nicht angemessen begleiten zu können, empfiehlt er die Internetseite „Schau hin!“. Dieselbe entspringt einer Ini­ti­ative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und anderen Partnern. Eltern finden dort alltagstaugliche Tipps und Empfehlungen, wie sie Kinder im Umgang mit digitalen Medien begleiten können. Es gibt dort auch jede Menge Informationen zu einzelnen Games, Online-Plattformen oder auch zu Gefahren im Netz.

In Beziehung bleiben

Florack weiß auch, dass in Familien eine negative Dynamik entstehen kann, wenn Eltern dem Interesse des Kindes hauptsächlich ablehnend gegenüberstehen. In vielen Fällen würden sie dann den Draht zum Kind verlieren und immer weniger wissen, was dieses hinter verschlossenen Türen eigentlich treibt. Zudem würde in einem solchen Fall die Enttäuschung der Eltern über den Rückzug des Kindes immer mehr wachsen, was die Situation noch verschlimmern könne.

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Nicht selten entstehen in Familien so Konflikte, die sich gar nicht primär um das Gaming an sich drehen. Wird als vermeintlich pädagogische Maßnahme immer wieder ein „Zock-Verbot“ in den Raum gestellt, wird das Computerspielen zum einen unglaublich aufgewertet, zum anderen wird es Teil eines unangenehmen Machtkampfes, der die Beziehung zum Kind bedroht. Nicht umsonst warnt eine Broschüre des Gesundheitsamtes, die bei der Einschulungsuntersuchung überreicht wird, davor, das Gaming oder Mediennutzung generell zu instrumentalisieren.

Verständnis entwickeln

Einigermaßen Verständnis für die Interessen des Kindes zu haben, auch wenn es nicht die eigenen sind, kann verhindern, dass eine Mauer zwischen Eltern und Heranwachsenden entsteht.

Marcus Richter ist freier Redakteur, Moderator und Podcaster. Er moderiert unter anderem beim Deutschlandfunk Kultur die Sendung „Breitband“, in der Sendung „Kompressor“ rezensiert er regelmäßig Computerspiele. Zusammen mit seiner Partnerin Patricia Cammarata hat er, angelehnt an deren Sachbuch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!“ eine informative Podcast-Reihe über Kinder und digitale Medien gemacht. Richter ist also mit der Medienwelt vertraut, befasst sich aber durchaus auch mit den Auswirkungen von Gaming auf Familien und die Gesellschaft generell.

Auf meine Frage hin, was denn an Gaming das Faszinierende sei, weiß er eine differenzierte Antwort. Eine andere sei, so Richter, auch kaum möglich, da die „Gaming-Welt“ einfach so umfassend und komplex sei. „Wenn man es theoretisch betrachten möchte“, beschreibt Richter, „gibt es die Theorie des ungarischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi, der über den Flow-Zustand geforscht hat. Wenn man die Faszination an Gaming mit genau einer Sache erklären will, dann ist es das.“ Computerspiele würden viele in einen Zustand versetzen, wo es genau die richtige Mischung von „das ist eine Herausforderung für mich“, also es ist nicht banal und langweilig, und „ich kann es schaffen“ empfunden würde. Vergleichbar sei das vielleicht mit einem „Runner‘s High“ oder einem anderen Hobby, in dem man aufgeht.

Dazu komme noch, dass man in der virtuellen Welt Dinge machen könne, die man sonst nicht machen kann, zum Beispiel eine Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen oder mit einem Sportwagen durch die Straßen fahren oder eben eigene Welten entwerfen. Es gebe Spiele, die vor allem durch ihre Geschichte faszinieren würden, andere würden eher auf der mechanischen Ebene als spielerische Herausforderung wirken.

Smartphone-Spiele

Es gebe, so Richter, im Internet auch Formate, die nicht unbedingt verboten gehören, wo aber mehr Achtung der Bezugspersonen geboten sei. So würden manche „Smartphone-Spiele“ (vor allem kostenlose), anders als klassische Computer-Games, psychologische Designs aufweisen, die eine Abhängigkeit begünstigen könnten.

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Auch Jakob Florack hat seine Erfahrungen mit Spielen wie „Brawl Stars“ gemacht, das sich gerade bei jüngeren Kindern unglaublicher Beliebtheit erfreut. Zunächst würde man einen schnellen Spiel­erfolg spüren, der dann langsamer werde. Nach einiger Zeit würden Nutzer aufgefordert, kleinere Geldbeträge zu investieren, was zu einer engeren Identifikation mit dem Spiel führe. Automatisch würde dann mehr Zeit investiert, was zu einer ungünstigen Spirale führen könne, die dann immer mehr Zeit und Geld verlange.

Richter plädiert zudem für eine gewisse Skepsis gegenüber Plattformen wie Roblox. Sie seien unübersichtlich, was daran liege, dass dort jeder Nutzer oder jede Nutzerin Spiele hochladen könne. Eltern sollten sich, so Richter, auch bewusst machen, dass das Online-Spielen mit anderen generell eine ganz spezielle Dynamik entwickeln könne. Nicht jeder oder jede könne es psychisch verkraften, unter Umständen gegen hundert andere Spieler zu verlieren. Zudem finden sich auf Roblox sehr viele gewalttätige und rassistische Spiele. Auch Grooming - also die gezielte Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen in Missbrauchsabsicht - ist hier ein Problem.

Wann ist es eine Sucht?

Jakob Florack bietet eine Sprechstunde für Eltern an, die ein Suchtverhalten vermuten. Nicht selten würden Erziehende kommen, die seit geraumer Zeit den Draht zum Kind verloren haben. „Eigentlich biete ich meine Sprechstunde für Eltern mit Kindern ab vierzehn an, weil jüngere Kinder ihr Spielverhalten meist noch nicht selbst kontrollieren können. Geht es um Jugendliche ab vierzehn, so gibt es inzwischen klare Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit Suchtverhalten diagnostiziert wird“, so der Arzt.

Bei der Diagnosestellung sei die Dauer des Computerspielens kein Indiz. Vielmehr würde man betrachten, wie stark die Kontrolle über das Spielverhalten abhandengekommen ist, obwohl in anderen Lebensbereichen Probleme auftreten. Alarmierend sei es, wenn Freundschaften, Schule, Hobbys und alltägliche Pflichten von heute auf morgen massiv vernachlässigt würden.

„Man muss sich genau anschauen, um wen es sich handelt. War jemand schon immer introvertiert, dann ist es weniger auffällig, wenn jemand auf einmal viel am Computer spielt“, ergänzt Florack. Sei das Leben aufgrund der übermäßigen Zeit am Computer aus den Fugen geraten, passiere es nicht selten, dass ein Teufelskreis entsteht. Aus dem negativen Gefühl heraus würde dann, wie bei anderen Süchten, dem Spielen noch mehr Zeit aufgebracht, weil man damit diese schlechten Gefühle gezielt verdränge.

Eltern, die solches Verhalten beim Kind beobachten, sollten sich Hilfe suchen. Nicht selten hänge die Spielsucht mit anderen psychischen Erkrankungen zusammen. Vor allem ADHS spiele eine Rolle, nicht selten sei sie aber auch ein Symptom einer Angsterkrankung oder Depression. Sie trete aber in manchen Fällen auch singulär auf.

Weitere Informationen + Tipps:

  • Informativer Podcast über Kinder und digitale Medien, von Marcus Richter und seiner Partnerin Patricia Cammarata, orientiert an deren Buch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!“: nur30min.de/blog/
  • „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ ist eine sehr informative Seite einer Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Eltern finden dort sehr umfangreiche Informationen zu Games, Plattformen und digitalen Medien generell: schau-hin.info/ueber-uns/initiative