Das Bild zeigt einen weißen Teller mit drei hellrosa gebratenen Jakobsmuscheln an grünem Blattsalat mit orangenen Babykarotten.
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Feinschmeckermenü für Kids

01.06.2020

Anfang des Jahres, als dieses Inter­view geführt wurde, gab man sich zur Begrüßung noch ganz selbstverständlich die Hand. Man trug keinen Mundschutz und hatte noch nicht wochenlang überdurchschnittlich viel Nudeln mit Tomatensoße gekocht. Dann kam das Coronavirus. Das Degerlocher Restaurant „Fässle“ musste, wie alle anderen auch, seine Pforten schließen. Seit dem 18. Mai hat es nun wieder geöffnet. Und Patrick Giboin, Inhaber des Restaurants und ehemaliger Sternekoch, freut sich, seinen jungen Gästen wieder seine fein abgestimmten Kindermenüs anbieten zu können. Wobei er gegen Nudeln mit Tomatensoße eigentlich gar nichts einzuwenden hat.

Herr Giboin, auf vielen Speisekarten finden sich in der Rubrik „Für unsere kleinen Gäste“ oft Kinderteller mit den Namen „Nemo“, „Pinocchio“ oder „Bambi“. Dahinter verbergen sich meist Fischstäbchen, Schnitzel oder Chicken Nuggets. Ihre Kindermenüs heißen „Le Petit Classique“ und „Le Petit Gourmet“ und umfassen bis zu vier Gänge. Was für Gerichte bieten Sie an?

Das „Petit Classique“ vereint klassische Speisen aus der Region. Diese Woche gibt es zur Vorspeise eine Flädlesuppe und zum Hauptgang einen kleinen Rostbraten mit handgeschabten Spätzle und Gemüse. Das „Petit Gourmet“ ist an unser Menü für Erwachsene angepasst. Da haben wir heute zur Vorspeise gebratene Jakobsmuscheln mit Erbsen und Karotten und zur Hauptspeise Kalbsrücken in Bayonne-Schinken mit Pfifferling-Bohnensauté.

Außerdem werden die Kinder, wie die Erwachsenen, mit einem Amuse Bouche begrüßt. Und nach dem Dessert bekommen sie süße Mignardises, also eine kleine Auswahl an Feingebäck. Natürlich kann ein Kind aber auch einfach nur Nudeln mit Tomatensoße bestellen. Die Nudeln machen wir dann allerdings selber.

Das heißt, Kindergerichte in Restaurants müssen nicht nach einem Disney-Film benannt werden und eine Pizza braucht kein Gesicht, um von einem Kind gegessen zu werden?

Nein, eine Pizza braucht kein Gesicht, die schmeckt auch so. Wir versuchen auf andere Weise, das Gericht für das Kind hübsch und ansprechend zu machen. Keine Smileys, dafür etwas Gemüse. Manche Eltern sagen dann allerdings: „Gemüse? So was isst mein Kind nicht!“.

Behandeln manche Eltern ihre Kinder ihrer Meinung nach also vorschnell als nörgelige Esser?

Ich beobachte das schon seit einiger Zeit als Gastronom und Koch, dass Eltern im Restaurant einfach für ihre Kinder bestellen, à la „Du isst wie immer Schnitzel“. Da haben die Kinder meist noch nicht einmal einen Blick in die Speisekarte geworfen. Das finde ich schade.

Weil Kinder Ihrer Meinung nach neugierig auf andere Gerichte sind?

Natürlich gibt es Kinder, die immer das Gleiche essen wollen und da können Eltern dann auch nicht viel machen. Trotzdem fände ich es wichtig, hin und wieder auch mal etwas anderes ausprobieren.

Immer nur Schnitzel zu essen, ist wie zu sagen: Kultur bedeutet für mich, ins Kino zu gehen. Aber es gibt da ja auch noch etwas anderes: Das Theater, das Museum oder die Oper. Die haben sich auch Gedanken darüber gemacht, wie man die Menschen unterhalten kann. Beim Essen ist das genauso und ich glaube, es gibt viele Kinder, die Lust haben, mal was Neues auszuprobieren und so zu essen, wie ihre Eltern.

Sie selbst kommen aus Frankreich, genauer aus Montargis im Zentrum des Landes. Gibt es Unterschiede bei den Essgewohnheiten französischer und deutscher Kinder?

In Frankreich macht man beim Essen keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen. Man kocht für beide das Gleiche und wenn das Kind das nicht mag, dann ist es halt so. Natürlich gibt es auch in Frankreich Restaurants, die für Kinder das immer gleiche Steak Haché anbieten. Aber selbst in den einfachsten Restaurants gibt es auch für Kinder immer ein Menü mit einem Hauptgericht und einer Vor- und Nachspeise.

Hierzulande werden Eltern bei dem Stichwort „Menü“ schnell nervös, weil sie befürchten, dass ihre Kinder eine lange Folge an Speisen nicht durchstehen und stattdessen Fangen spielen oder das Smartphone haben wollen.

Ich habe eigentlich die gegenteilige Erfahrung gemacht: Wenn immer was Neues kommt, ist das eher spannend für die Kinder und sie freuen sich auf den nächsten Gang. Natürlich gibt es auch Familien, deren Kinder sofort das Handy oder Tablet zücken, sobald sie sich am Tisch niederlassen und dann zwei Stunden so dasitzen, am besten noch mit Kopfhörern dazu. Aber ich finde, da kann man das Kind dann auch gleich zuhause vor dem Fernseher sitzen lassen. Viel schöner ist es doch, sich zwischen den Gängen zu unterhalten und Zeit miteinander zu verbringen.

Weil man damit auch dem Essen eine andere Wertschätzung entgegenbringt?

Essen soll Spaß machen und nicht nur satt. Schließlich ist es auch ein soziales Erlebnis und es ist schöner, ein 5-Gänge-Menü mit der Familie oder mit Freunden zu essen, anstatt es alleine zu tun. Man sollte sich also Zeit dafür nehmen und den Genuss daran teilen. Auf diese Weise kann man ein Kind mehr für gutes Essen begeistern, als wenn man immer nur sagt: „Iss dein Gemüse, das ist gesund“.

Aber gesund sollte es schon sein, oder?

Sonst hätten Eltern ja ganz umsonst immer heimlich Karottenraspel unter die Tomatensoße gemischt.Beim Essen muss es nicht immer nur um die Gesundheit gehen. Essen kann ungesund sein und trotzdem lecker. Es kommt darauf an, die Vielfalt davon kennenzulernen.

Sie selbst haben drei Kinder im Alter von 10, 13 und 16 Jahren. Wissen die das vielfältige Essen zu schätzen?

Nun, sie haben alle drei ihre Vorlieben. Die eine isst keinen Zucker, der andere kein Schweinefleisch und der andere fährt voll auf die arabische Küche ab und möchte am liebsten überall Kreuzkümmel dazu mischen. Wir können uns am ehesten darauf einigen, dass es schmeckt, wenn wir in „Onkel Hasan’s Grillhaus“ gegenüber von meinem Restaurant einen Döner essen. Aber gegen ein gutes Muschelgericht haben sie auch nichts einzuwenden. Nur neulich, als meine Frau ihnen Grünkohl zum Abendessen gemacht hat, gab es einen Aufschrei: „Das stinkt!“. Ich konnte ihnen diesbezüglich nur Recht geben, aber geschmeckt hat es trotzdem. Man sollte einfach möglichst unterschiedliche Geschmacksrichtungen anbieten, dann bildet sich irgendwann ein Sinn für das Essen heraus.

Und dann verschmähen Kinder irgendwann ganz automatisch Fast Food und Frittiertes?

Ich denke schon, aber diesen Prozess muss die gesamte Gesellschaft unterstützen. Es wird ja ständig darüber berichtet, dass Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen immer mehr zum Problem wird. Gleichzeitig gibt es in den Schulmensen mindestens dreimal in der Woche irgendetwas mit Ketchup. Und das liegt nicht mal daran, dass das Essen besonders billig wäre. Wenn ein Erwachsener übergewichtig wird, finde ich das nicht so schlimm. Er hat es sich meistens selbst ausgesucht, weil er das Essen liebt und hier und da zu viel trinkt. Aber ein Kind hat sich das nicht ausgesucht. Es hat keine Wahl gehabt und gegessen, was man ihm gegeben hat. Wenn ein Kind übergewichtig wird, wird es sein Leben lang daran tragen.

Viele Familien können sich ein Kindermenü für 25 Euro nicht leisten. Wird Ihnen manchmal der Vorwurf gemacht, das sei zu teuer?

Ich denke, das ist alles relativ. Wenn Sie ins Schwimmbad gehen und dort eine Portion Pommes kaufen, zahlen Sie dafür 3,80 Euro. Meistens können Sie die Pommes in der Schale zählen, so wenig sind das, aber hier beschwert sich niemand. Und auch auf dem Wasen sind Sie schnell 25 Euro für Ihr Kind los. Aber Sie machen das ja nicht jeden Tag, genauso wie Sie nicht jeden Tag ins Restaurant gehen. Wenn man als Familie hierher kommt, macht man das, um gemeinsam etwas Besonderes zu erleben. Viele sind dann auch bereit, dieses Geld für ihr Kind zu zahlen.

Zur Person:

Patrick Giboin leitet seit 2016 das Restaurant „Fässle“ in Degerloch. Davor führte er gemeinsam mit Matthias Gugeler den Gasthof Krone in Waldenbuch und wurde dort mit einem Michelin Stern ausgezeichnet.

Patrick Giboin, ergrautes Haar und in weißer Kochkleidung, steht in der Küche am Herd und hält einen Schöpflöffel in der Hand. Vor ihm stehen Töpfe und er lächelt in die Kamera.
Auf dem Bild sieht man zwei gebratene Jakobsmuscheln am Holzspies, einer davon getunkt in die gelbe Suppe, die weiße, in einem Kringel gegossene Schaumsoße enthält. Zur Deko liegen am Tellerrand Kräuter mit lila Blüten.
© pixelio.de / Tim Reckmann
Die Kinderspeisekarte liegt einmal geschlossen und einmal geöffnet auf dem Tisch, mittendrin liegen bunte, gestreifte Strohhalme.
Drei geschlossene Kinderspeisekarten liegen auf dem Tisch, auf jedem auf der Vorderseite eine kleine Zeichnung. Im Vordergrund liegen buntgestreifte Strohhalme.
Fässle steht in großen, geschwungenen Buchstauben in blau auf weißem Hintergrund, darunter in schwarz le Restaurant.
Patrick Giboin in weißer Kochausstattung, hat die Augen geschlossen und wendet das Gesicht halb von der Kamera ab, ein jüngerer  Kollege in schwarzer Kochkleidung steht neben ihm in der Küche. Beide lächeln.