Eine trauernde Mutter sitzt in grünem Krankenhauskittel in einem Krankenhausbett und hat das Gesicht in den Händen geborgen.
©shutterstock.com/ Pormezz

Fehlgeburten – Gar nicht selten und psychisch belastend

01.07.2019

Jede fünfte oder sechste Frau erlebt statistisch betrachtet eine Fehlgeburt. Für viele Frauen ist das Ereignis psychisch belastend und lässt eine Wunde zurück, obwohl sie das Kind nie kennenlernten und vielleicht noch keinen Babybauch hatten.

Einige Frauen sprechen offen über ihre Fehlgeburten. Manche berichten, sie hätten zwischen ihren Kindern diverse Fehlgeburten gehabt, andere erleiden zunächst einige Frühaborte, bis sie eine erfolgreiche Schwangerschaft erleben, wenige davon bleiben kinderlos. Nicht selten stellen betroffene Frauen ihre Weiblichkeit und ihre körperlichen Fähigkeiten infrage.

„Ein wirklich zentrales Gefühl, das ein Frühabort bei der Frau hinterlässt, ist Schuld. Und das, obwohl die Frau in den seltensten Fällen Schuld trifft“, berichtet die Gynäkologin Dr. med. Roswitha Engel-Széchényi. Sie ist außerdem tiefenpsychologisch ausgebildete Psychotherapeutin und bietet schwangeren Frauen in ihrer Stuttgarter Praxis auch eine psychosomatische und psychotherapeutische Begleitung, wenn das nötig erscheint. Gehe in den ersten Wochen bei der Zellteilung nur eine Kleinigkeit schief, sterbe der Embryo ab. Die meisten Fehlgeburten seien also - von außen betrachtet - ein natürlicher Vorgang.

Eine Fehlgeburt erleben

Katja Walser* aus Stuttgart erinnert sich daran, wie sie sich von einem auf den anderen Tag nicht mehr schwanger gefühlt habe. Als eine Ärztin die Fehlgeburt bestätigt hatte, habe sie sich erleichtert gefühlt. Die Ungewissheit habe sie als belastend empfunden. So habe sie beginnen können, das Geschehene zu verarbeiten. Manche in ihrem Bekanntenkreis hätten sich gewundert, dass sie nicht mehr trauere. Andere hätten offen über ihre eigenen Aborte geredet - somit habe sie gespürt, dass sie nicht alleine ist. Unmittelbar nach dem Frühabort habe sie sich psychisch kaum belastet gefühlt. Andere fallen in eine regelrechte Depression und verschließen sich. Frauen, die schon öfter in ihrem Leben Verluste erlitten, reagieren womöglich empfindlicher.

In einem Spiegel online-Artikel von 2015 schreibt Irene Habich, Männer würden oftmals anders trauern. Manche würden ihr Leid verbergen. Es wäre falsch, anzunehmen, sie trauerten nicht.

Fehlgeburten können inzwischen unabhängig von ihrem Alter bestattet und beim Standesamt gemeldet werden, Kliniken und Praxen müssen sie in Sammelgräbern bestatten, sie werden nicht wie früher mit dem Klinikmüll entsorgt. Dieser Sinneswandel zeigt, dass die Trauer um frühe Fehlgeburten gesellschaftlich respektiert wird.

Schwanger nach einer Fehlgeburt

Erst, als Katja Walser* dann wieder schwanger geworden sei, habe sie gemerkt, dass sie ihre Erfahrung gar nicht richtig verarbeitet hatte. Sie habe sofort befürchtet, es könne ihr ein zweites Mal passieren. Gerade in einer erneuten Schwangerschaft sei es wichtig, den Glauben an den positiven Verlauf zu stärken, so Engel-Széchényi. Sie bietet solchen Frauen nach dem amerikanischen Konzept der Tender Loving Care eine besonders intensive Betreuung in der Schwangerschaft an, die nicht nur aus Technik, sondern auch viel aus Gesprächen besteht. Wer sich beruhigt fühle, könne auch häufiger als normal in die Praxis kommen.

Psychologische Erklärungsansätze

Engel-Széchényi gibt zu bedenken, dass Paare gegenwärtig sehr hohe Erwartungen an das Schwangerwerden hätten: Zuerst verhüte man konsequent über Jahre, dann würden viele erwarten, dass sie quasi sofort schwanger würden. Den meisten sei der Kinderwunsch sehr wichtig. Da man aber in diesem Lebensbereich keine vollständige Kontrolle ausüben könne, würden viele Frauen die Fehlgeburt als Kontrollverlust erleben, manche würden sich vielleicht sogar gekränkt fühlen. Manche sind es gewöhnt, im Leben ihre Ziele zu erreichen. Man könne nicht unbedingt sagen, dass das Erlebnis eine Frau, die bereits Kinder habe, weniger belaste. Die Reaktion sei sehr individuell. Nicht zu verachten ist der gesellschaftliche Druck. Wird einem nicht als Frau in einem gewissen Alter permanent suggeriert, man habe gefälligst ein oder mehrere gesunde Kinder zu gebären?

*Name geändert

Fotografen von „Dein-sternenkind.eu“ fotografieren unentgeltlich, spontan und professionell Fehl- und Totgeburten, auch schon ab der 12. oder 14. Schwangerschaftswoche: Dein-sternenkind.eu

Die Initiative REGENBOGEN „Glücklose Schwangerschaft“ e.V. ist ein Kreis von betroffenen Eltern: http://initiative-regenbogen.de/ueber-unsere-initiative.html