Ein Paar streitet sich.
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Die moderne Familie als Großprojekt

01.01.2020

Mama managt alles

Viele Eltern wollen die Arbeiten in Haus und Familie gerecht untereinander aufteilen. Doch die wenigsten tun es tatsächlich. Selbst, wenn die Mütter berufstätig sind, managen sie zuhause das Meiste. Viele leiden unter der fehlenden Anerkennung, aus der sie die Kraft für die Bewältigung des Alltags schöpfen könnten. Den Alltag einer Familie zu organisieren, ist wirklich kein Pappenstiel. Schließlich geht es dabei nicht allein um Arbeiten im Haushalt wie Vesperbrot richten oder Kindergeburtstagsgeschenke besorgen und die Betreuung der Kinder.

Dazu gehören noch viele weitere Aspekte, wie beispielsweise das Managen von Unternehmungen in der Freizeit, die Urlaubsplanung und die Koordination notwendiger Anschaffungen. Was Mütter belastet, ist aber nicht der ganz normale Familienalltag, sondern das, was als „Mental Load“ oder „Invisible Work“ bezeichnet wird: Das ständige Denken und Planen, also die Organisation, die hinter dem Familienalltag steckt. Denn es sind meist die Frauen, deren Gedanken selbst beim Joggen oder Fernsehen noch um die Familie kreisen.

Mentale Belastung

Die Cartoonistin Emma veranschaulicht dies in einem Cartoon, der nach seiner Veröffentlichung um die ganze Welt ging, und der die Diskussion um die „Mental Load“ entfachte: Er zeigt ein Paar, das einträchtig auf der Couch sitzt. Während der Mann voller Begeisterung dem Geschehen im Fernseher folgt, denkt die Frau an Lebensmitteleinkäufe, Kinderarzttermine und die Hosen, aus denen die Kinder rausgewachsen sind. Leider ist die mentale Belastung für betroffene Mütter meist nicht so lustig, wie in dem Cartoon dargestellt. Viele Frauen zerbrechen an dem Gedankenkarussell und laufen Gefahr, psychisch zu erkranken, weil sie die ständige Belastung nicht ertragen.

Gesellschaftlicher Widerspruch

Dass es meist die Mütter sind, die in der Familie die tragende Rolle innehaben, hat psychologische ebenso wie gesellschaftliche Hintergründe: Wenn ein Paar eine Familie gründet, ist dies bei aller Freude auf das Kind in der Regel mit großen Veränderungen verbunden. „Psychologie und Hirnforschung bestätigen uns, dass in Zeiten der Veränderung und in Stresszeiten gerne auf altbewährte Muster zurückgegriffen wird“, erklärt Paar- und Familientherapeutin Susanne Clement.

Die Frauen kümmerten sich dann vermehrt um die Kinder, während die Männer sich für ein stabiles Einkommen verantwortlich fühlten. In unserer modernen Zeit wird aber gesellschaftlich von den Frauen erwartet, dass sie genauso zum Familieneinkommen beitragen.

Und so entsteht ein gesellschaftlicher Widerspruch, der in jeder Familie individuell ausgetragen werden muss. „Meines Erachtens wirkt es für ein Paar entlastend, sich deutlich zu machen, dass sich gesellschaftliche Widersprüche in der Organisation des Familienalltags nur schrittweise und bedingt auflösen lassen“, so Clement. Sie rät Paaren darum, sich Kompromisse zuzugestehen, wenn sie ihre Ansprüche in die Wirklichkeit umsetzen möchten.

Kommunikation wichtig

Auf jeden Fall scheint es sinnvoll zu sein, dass Paare schon vor der Geburt ihres Kindes besprechen und planen, wie sie sich die Aufgabenteilung in der Familie vorstellen. So können jene, die den Wunsch haben, den Familienalltag gleichberechtigt zu organisieren, sich die Aufgaben im Haushalt ebenso wie die Aufgaben in der Kindererziehung und anderen Bereichen des Familienlebens gerecht aufteilen.

Oder sie beschließen, dass die Frau tatsächlich die Hauptverantwortung für die Erziehung der Kinder trägt, der Mann dafür aber hauptverantwortlich Bereiche wie beispielsweise Einkaufen oder Urlaubsplanung übernimmt. „Die beste Vorsorge für eine möglichst konfliktfreie Organisation des Familienalltags ist jedoch eine tragende, wertschätzende, verständnisvolle und humorvolle Kommunikation, die im Alltag wie Balsam wirkt“, betont Clement.

Entlastung schaffen

Immer wieder rät die Paar- und Familientherapeutin Paaren, die an ihrem Familienalltag zu scheitern drohen, „konkret über Entlastung nachzudenken“. In ihrer Praxis sei dies ein sehr wichtiges Thema, betont Clement. Es tue den Paaren meist schon gut, wenn sie sich kleine „Inseln“ schafften, die alleine der Paarbeziehung dienten. Die Organisation eines Babysitters ist zwar eine weitere Aufgabe, die es zu managen gilt, doch dafür wird das Paar mit einem Candlelight-Dinner oder Kinobesuch belohnt.

Ebenso wichtig erscheint der Therapeutin, „dass Ansprüche und Erwartungen in einer stressigen Familienzeit heruntergefahren werden können“. Die Wohnung müsse schließlich nicht immer auf Hochglanz poliert sein und nicht jeder Kindergeburtstag ausgiebig gefeiert werden. Auch könnten zusätzliche finanzielle Belastungen durch einen Hausbau oder hochwertiges Spielzeug und Musikunterricht für die Kleinsten den Eltern unnötige Sorgen bereiten.

Wertschätzung geben

Bestimmt leiden Mütter nicht alleine an der Quantität der Arbeit, die sie für ihre Familie verrichten müssen. Es fehlt vor allem an der Wertschätzung dieser Arbeit. Weder der Partner noch die Kinder sagen jeden Tag „Danke“ für all das, was Mütter für sie tun. Doch wer keine Anerkennung bekommt, ist auf Dauer frustriert. Um dies zu ändern, sollten vielleicht „Väter mehr von der wichtigen, aber nicht wertgeschätzten Arbeit übernehmen“, rät Laura Fröhlich in ihrem Blog „Heute ist Musik“.

Nach einer Studie des RWI-Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung arbeiten Väter, die zwei Monate Elternzeit nehmen, eine halbe Stunde mehr im Haushalt, als Väter, die weiterarbeiten. Vielleicht würde es also schon einiges bewirken, die Vätermonate beim Elterngeld auszuweiten? Manche Eltern führen auch eine Strichliste, auf der sie jede Tätigkeit, die sie im Dienste der Familie gemacht haben, „tracken“. Ziel solcher Listen ist, am Ende die Arbeit gerecht, also „50/50“, verteilt zu haben. Wenn das Tracken auch etwas umständlich erscheinen mag, so bekommen Paare auf die Weise einen guten Überblick über die Tätigkeiten, die zu tun sind und wer welche Anteile daran erledigt. Sollte ein Ungleichgewicht bestehen, wird das beim Tracken objektiv sichtbar. Und Eltern haben eine Diskussionsgrundlage, wenn einer von ihnen das Gefühl hat, mehr zu tun als der andere.

Selbstbestimmtes Handeln

Grundsätzlich wollen natürlich alle Familienmitglieder in ihrer Individualität gesehen und wertgeschätzt werden. Darum kann eine Familie heute am besten ihr Potenzial entfalten, „wenn sie jedem Familienmitglied Spielraum für Autonomie und Selbstbestimmung lässt“, schließt Eva Kessler aus jahrelanger Praxiserfahrung als Familien- und Erziehungsberaterin. Sie plädiert darum für einen „spielerischen Umgang mit der Organisation des Familienlebens“.

Dabei geht sie davon aus, dass nicht die Tätigkeiten an sich im Familienalltag belastend sind, sondern dass sie eben zu dem Familienmitglied passen müssen und es selbst bestimmen darf, wann und wie sie erledigt werden. Gleichzeitig solle laut Kessler jedem Familienmitglied ein Zeitraum frei verfügbarer Zeit zugestanden werden, in dem die Person nicht von den anderen Familienmitgliedern beansprucht werden darf. So fühle sich jeder anerkannt und empfinde seine Aufgaben in der Familie nicht als belastend.

Finanzielle Absicherung

Mit der Wertschätzung der mehr geleisteten Arbeit von Müttern in der Familie geht auch eine finanzielle Vorsorge einher. „Die Absicherung der Frau, die in den meisten Fällen finanziell benachteiligt ist, halte ich im Hinblick auf Familienplanung für ein wichtiges Thema“, betont darum auch Clement. „So kann die Lücke in der Altersvorsorge, die durch die geringfügige Arbeit der Mütter entsteht, beispielsweise durch monatliches Einzahlen in einen Sparvertrag ausgeglichen werden“.

Auch wenn der Zeitpunkt unpassend erscheint, Paare müssen bereits bei der Familiengründung individuell regeln, in welcher Form derjenige, der zukünftig weniger arbeiten geht, finanziell abgesichert wird. Denn am Ende sollte für diesen Elternteil, meist die Mutter, die gleiche Rente herauskommen, als wenn er oder sie im selben Umfang weitergearbeitet hätte. Dies ist nicht nur, aber natürlich besonders im Fall einer Scheidung wichtig, da sonst vielen alleinerziehenden Müttern die Altersarmut droht.

Buchtipps:

Friederike von Tiedemann: Das Geheimnis dauerhaften Glücks, Kreuz Verlag 2011, 200 Seiten, als eBook beim Verlag erhältlich oder die Buchausgabe direkt bei der Autorin unter www.vontiedemann.de

Eva Kessler: Das Familienkonzept: Praktisches Handwerkszeug zur Verteilung der Aufgaben in der Familie, Kessler 2016

Stefanie Lohaus und Tobias Schulz: Papa kann auch stillen, Goldmann 2015