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Die erste Zeit mit dem Baby

01.07.2020

Egal, ob Eltern ihr erstes Kind erwarten oder es schon Geschwisterkinder gibt: Die Zeit um die Geburt ist immer besonders spannend. Eltern wissen nicht, was sie erwartet, sind aber trotzdem voller Vorfreude auf das neue Familienmitglied. Die Stuttgarter Hebamme Dorottya Gémes und Autorin Nora Imlau berichten aus ihrer Erfahrung, was Eltern und Kindern in der Kennenlernphase nach der Geburt gut tut.

„Wochenbett“ ist ein etwas altmodisch klingender Begriff für die ersten, recht turbulenten sechs bis acht Wochen nach der Geburt. Der Körper der Frau erholt sich und macht einen enormen hormonellen Umstellungsprozess durch. Die Gebärmutter bildet sich zurück und Geburtsverletzungen heilen. Mütter, die einen Kaiserschnitt hatten, brauchen oft länger, um wieder auf die Beine zu kommen. Der Milchfluss kommt in Gang.

Nicht weniger beträchtlich sind die Veränderungen im Sozial- und Familiengefüge, von denen genauso auch die Väter betroffen sind. Allgemeingültige Tipps für das Wochenbett kann man wohl kaum aussprechen. Zu unterschiedlich sind die körperliche Verfassung nach der Geburt und die familiäre Situation. Nicht alle können die Zeit frei planen. Zudem wissen die Eltern nicht, wie fordernd der Säugling sein wird und wie gut das eigene Nervenkostüm ist. Nora Imlau und Dorottya Gémes meinen, dass es am wichtigsten ist, sich möglichst von eigenen hohen Erwartungen und sozialem Druck zu befreien.

Sich Ruhe gönnen, Hilfe annehmen

Während es vor nicht allzu langer Zeit noch üblich war, Mutter und Kind in der ersten Zeit besonders zu schonen, verbringen Eltern gegenwärtig das Wochenbett ganz unterschiedlich. „Manche schauen mich beim ersten Nachsorgetermin mit großen Augen an und fragen, wann sie das erste Mal wieder spazieren dürfen. Andere wollen die erste Zeit so gut es geht im engen Kreis der Kleinfamilie verbringen“, berichtet Dorottya Gémes aus ihrer Erfahrung als Hebamme. Sie sieht überhaupt keinen Grund, Frauen, die sich körperlich einigermaßen belastbar fühlen, keinen Spaziergang zu gewähren. Generell empfiehlt sie aber, sich gerade in der ersten Zeit einen Kokon zu schaffen und sich echte Zeit zum Kennenlernen zu geben. „Ich mache die Erfahrung, dass solche Familien schneller zusammenfinden. Auch Stillprobleme können dadurch reduziert werden, wenn man sich zunächst richtig auf die neue Situation einlässt“, so Gémes. Die Corona-Krise sieht sie in diesem Zusammenhang als Fluch und Segen zugleich. Ein Fluch sei sie insofern, da man schwerer Hilfe von Familie und Freunden erhalten könne. Sie erlebe aber auch nicht wenige Familien, die total erleichtert seien, weil sich die Besuchsfrage nicht stellt. Um das Beste aus der Situation zu machen, empfiehlt sie trotzdem, so gut es geht, Hilfe aus dem Umfeld zu organisieren. Man könne sich beispielsweise zubereitete Speisen vor die Tür stellen lassen. „Ich erlebe viele Familien, die beruflich nach Stuttgart gekommen sind und kaum enge Kontakte vor Ort haben. Andere, die Hilfe in Anspruch nehmen können, erleben das Wochenbett oft viel positiver“, erzählt Gémes.

Nora Imlau, Autorin und Bloggerin, die viel über Familienthemen schreibt, ist eine bekannte Vertreterin der bindungsorientierten Elternschaft. Sie ist vierfache Mutter und berichtet, sie habe bei ihrem vierten Kind das Wochenbett besonders ausgekostet. Sie habe die Zeit vollständig im Bett verbracht, sei nur aufgestanden, um das Bad zu benutzen und habe mit der Familie sogar im Bett gespeist. Viele Frauen würden heutzutage vergessen, wie anstrengend eine Geburt sei, körperlich und emotional. Sie seien pflichtbewusst und hätten das Gefühl, nach der Geburt wieder schnell so schlank und fit wie vor der Schwangerschaft sein zu müssen. Dabei seien die meisten in Wirklichkeit doch recht ruhebedürftig.

Imlau empfiehlt, an die erste Zeit nach der Geburt möglichst keine besonderen Erwartungen zu haben und sich nicht viel anderes vorzunehmen als das Baby zu bekuscheln. Wenn es eine Zeit gebe, wann Eltern in jeder Hinsicht „total egoistisch“ sein dürften, sei das die Zeit im Wochenbett. „Nach meiner ersten Geburt habe ich versucht, eher das Bild von einer dynamischen Mutter zu vermitteln, die topfit ist und super aussieht, obwohl sie gerade entbunden hat. Und meine Umgebung hat mich darin auch positiv bestätigt und mich mit Komplimenten überhäuft“,  gesteht Imlau. Das spiegelt sicherlich die Erfahrung einiger Mehrfach-Mütter wider. Man darf dabei nicht vergessen, dass man auch in das Mutter- und Vatersein erst „reinwachsen“ muss und es ganz normal ist, dass man sich mit der Zeit mehr auf die neue Rolle einlassen kann.

Frei von sozialem Druck

„Total egoistisch zu sein“ meint nach Imlau auch, sich möglichst von Erwartungen aus dem Umfeld zu distanzieren. Gut gemeinte Ratschläge dürfe man sich nicht zu sehr zu Herzen nehmen, wenn sie dem eigenen Bauchgefühl oder Wissen widersprechen würden. Das sei nicht immer einfach, gerade die Großeltern würden es oft sehr persönlich nehmen, wenn man ihre Tipps nicht umsetze. Vielleicht hilft es dabei, sich zu vergegenwärtigen, dass die meisten Großeltern doch unter anderen Bedingungen aufgewachsen sind und oftmals andere, heute nicht mehr praktizierte Vorgaben galten. Eltern haben heutzutage die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, ob ihr Kind im Elternbett schläft oder nicht und müssen sich für ihre Vorgehensweise nicht rechtfertigen. Glaubenssätze, wie den Säugling bloß nicht zu verwöhnen, sind nicht mehr up-to-date.

Frei von sozialem Druck zu sein, bedeutet auch, sich früh davon zu verabschieden, die perfekte Mutter sein zu wollen. Zeit mit dem Kind zu genießen, ist etwas Wunderbares. Es ist aber auch normal, wenn wir uns nach Außenkontakten und Abwechslung sehnen. Nora Imlau hält es sogar für besonders wichtig, dass wir auch auf unsere Bedürfnisse achten. Am besten sei, sich von Glaubenssätzen wie „Ich darf mich nicht gehen lassen“ zu verabschieden.

Aber natürlich dürfe man sich nach der Geburt auch schminken und schönmachen, wenn es dem inneren Gefühl entspreche. Auch hier solle man möglichst zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen der „Außenwelt“ unterscheiden – manchmal gar nicht so einfach. „Wichtig ist, dass man sich generell selbst nicht zu strenge Regeln auferlegt. Es ist nicht verwerflich, das Kind auf dem Schoß zu haben und auf das Smartphone zu schauen. Nur wenn man das Gefühl hat, dass es zur Sucht wird, sollte man gegensteuern“, rät Imlau.

Geschwisterkinder

Auch im Umgang mit den Geschwisterkindern sei es wichtig, sich zu entspannen, meint Imlau. Diese würden es oft viel besser verkraften als gedacht, dass die Mutter auf einmal weniger Zeit hat. Man könne diese auch, je nach Alter besser oder schlechter, durch Gespräche für das Thema sensibilisieren. Gerade wenn die Geschwisterkinder jung sind, sollten Eltern es nicht so ernst nehmen, wenn diese nicht gerade zimperlich mit dem Säugling umgehen würden. Würde etwa das Baby „geschlagen“, spräche das nicht für eine grundsätzliche Ablehnung, sondern sei nur Ausdruck des momentanen Frusts, der Langeweile oder des Drangs nach Aufmerksamkeit. Imlau empfiehlt, sich zudem von Glaubenssätzen, wie „ich möchte die Geschwisterkinder nicht vor dem Fernseher parken“ zu verabschieden. Davon nehme keiner einen Schaden, wenn das eine Übergangsphase betreffe.

Die Väter

Wichtig ist, nicht zu vergessen, dass das Wochenbett auch eine emotionale Umstellung für die Väter bedeutet. Sie müssen nicht nur akzeptieren, dass das neue Familienmitglied übergangsweise die ganze Aufmerksamkeit der Mutter beansprucht, sondern sie müssen sich auch mehr um Geschwisterkinder kümmern. Eine Bindung zum Säugling aufzubauen, ist für sie manchmal schwieriger, zumal sie oft eingeschränktere Möglichkeiten haben, ein Stillbaby zu beruhigen. Dorottya Gémes rät, die Väter früh mit einzubeziehen. Gerade zu Corona-Zeiten sei es üblich – wenn auch nicht ganz verständlich – dass Väter zwar im Kreißsaal anwesend sein dürfen, nicht aber auf der Wöchnerinnenstation. „Es stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, jetzt ambulant zu entbinden, damit die Familie von Anfang an beisammen ist.

Wenn das bei manchen Frauen wegen eines Kaiserschnitts oder aus anderen Gründen nicht möglich ist, sollten sie dem Mann nach der Heimkehr ermöglichen, nachträglich eine Bindung zum Neugeborenen aufzubauen. Dabei hilft zum Beispiel Kuscheln mit Hautkontakt“, so Gémes. „Die Väter können sich auch von Anfang an um das Baby kümmern, es tragen und wickeln, als durchaus wichtige Aufgaben übernehmen.“ Ideal ist natürlich, wenn der Vater wenigstens am Anfang Urlaub oder Elternzeit nehmen kann.