Das Bild zeigt drei Kleinkinder, die fröhlich durch eine Sporthalle hüpfen

Bewegung schafft Selbstvertrauen

01.04.2020

Immer mehr Kinder haben motorische Defizite. Bei den Einschulungsuntersuchungen, die im vorletzten Jahr vor der Einschulung stattfinden, stellen die Gesundheitsämter häufig fest, dass Fünfjährige nicht mehr sicher auf einem Bein hüpfen können, aber auch Kraft und Ausdauer nachlassen.

Die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet, dass Kinder mindestens 60 Minuten am Tag aktiv sein sollen. Sportmediziner empfehlen sogar 90 Minuten. Viele Kinder sind aber wesentlich weniger aktiv. Woran liegt das? Welche Folgen hat Bewegungsmangel im Kindesalter und reichen die Auswirkungen auch noch bis ins spätere Erwachsenenalter? Wie können Eltern für mehr Bewegung im Familienalltag sorgen und könnten auch Städte durch eine bewegungsfreundlichere Stadtplanung mehr Einfluss nehmen? Darüber haben wir uns mit Daniela Klein unterhalten, die seit dem 1. Januar die neue Amtsleiterin des Amtes für Sport und Bewegung in Stuttgart ist.

Mehrere Kinder in Sportkleidung und eine junge Frau mit lockigem Pferdeschwanz sitzen in einer Turnhalle auf dem Boden. Einige von ihnen sind in Bewegung.

Frau Klein, durch Laufen, Hüpfen und Klettern entdecken Kinder sich selbst und ihre Umgebung. Der Bewegungsdrang ist Kindern eigentlich angeboren. Dennoch bewegen sich erschreckenderweise häufig schon kleine Kinder zu wenig. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Wie bei vielen Themen kann man dafür sicher nicht nur einen Grund nennen. Aber gesellschaftliche Entwicklungen wie zunehmender Verkehr in unseren Städten, ein verändertes Medienangebot (schon kleine Kinder spielen heutzutage auf dem Tablet und sind davon fasziniert), verlängerte Aufenthaltszeiten in Kindergarten und Schule, aber auch das Verhalten von Eltern, Stichwort „Elterntaxi“, schränken den Bewegungsraum und die Bewegungszeiten von Kindern immer mehr ein.

Was sind die Auswirkungen, auch für das spätere Lebensalter, wenn sich schon die Kleinen zu wenig bewegen?

Bewegung ist ein Entwicklungsmotor, das heißt, Kinder, die sich viel bewegen, entwickeln sich besser, sind eher gesund und ausgeglichen, neigen nicht zu Übergewicht. Bewegung hilft uns, mit Stress und Anforderungen besser umzugehen, da Bewegung Stresshormone aktiv abbaut. Wer schon früh gelernt hat, sich durch sportliche Betätigung einen Ausgleich zu schaffen, kann auch später bei stressigen Phasen in der Schule oder im Erwachsenenalter besser mit Belastungen umgehen. Und: Sport vermittelt Erfolgserlebnisse! Man hat festgestellt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Bewegung und Selbstvertrauen gibt, denn wer sich geschickt bewegen kann, erlebt sich als selbstwirksam, kann also Hindernisse im wahrsten Sinne des Wortes besser bewältigen.

Laut einer Untersuchung des Landesgesundheitsamtes vom vergangenen Jahr zeigen vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien motorische Auffälligkeiten bei den Einschulungsuntersuchungen. Wie kann man hier gegensteuern?

In Stuttgart versuchen wir mit unserem Programm „kitafit“, dem „Bewegungspass“ und den „Minisport“-Gutscheinen“ gerade diesen Kinder gezielt ein Angebot zu machen. Kitafit und vor allem der Bewegungspass scheinen sehr gut zu wirken.

Vor einigen Jahren waren in Stuttgart die motorischen Auffälligkeiten noch etwas ausgeprägter als im Landesdurchschnitt. Inzwischen „hüpfen“ die Stuttgarter Kinder deutlich besser als das „durchschnittliche Landeskind“. Kitafit wird so organisiert, dass Stadtteile mit hoher motorischer Auffälligkeit mit Priorität versorgt werden. Obwohl schon 362 Kitas im kitafit-Programm mitmachen, wünschen wir uns natürlich, dass es noch mehr werden.

Gleiches gilt für den Ganztagesunterricht, der ein hohes Potential dafür hat, allen Kindern gleichermaßen die Teilnahme an einem Sportangebot zu ermöglichen – unabhängig von der sozialen Herkunft.

Früher haben sich Kinder viel auf der Straße und im Viertel bewegt, sich verabredet und dort gespielt. In unseren Städten ist dies an vielen Stellen leider unmöglich geworden. Stattdessen fahren wir unsere Kinder von einem (Sport)-Angebot zum nächsten oder begleiten sie zum Spielplatz mit seinen oft eintönigen Spielgeräten. Manche Experten sprechen gar von der „eingesperrten Kindheit“.

Da ist sicherlich etwas Wahres dran und ich erlebe Eltern hier auch oft als zu ängstlich. Ich denke, man kann Kindern durchaus schon etwas zumuten und es muss nicht sein, dass vier- oder fünfjährige Kindern noch im Buggy herumgefahren werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es als Mutter oder Vater nicht immer leicht ist mit den alltäglichen Verpflichtungen und dem Zeitdruck zurechtzukommen und möchte auch kein Eltern-Bashing betreiben. Aber es lohnt sich meiner Meinung nach sehr, mehr Bewegung in den Alltag einzubauen. Viele wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Alltagsbewegungen mindestens so wichtig und nötig sind, wie gezielte sportliche Betätigungen.

Wenn die Zeit morgens zum Beispiel knapp ist, kann man die Kinder vielleicht mit dem Bus zur Kita bringen, aber den Nachhauseweg dafür aktiv gestalten, indem man mit ihnen nach Hause läuft. Größere Kinder sollten den Weg zur Schule zu Fuß bewältigen und auch bei Verabredungen mit Freunden im Stadtteil darf man ihnen zutrauen, dass sie ab einem gewissen Alter den Weg zum Spielplatz alleine bewältigen. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und macht sie um viele Erfahrungen reicher.

Könnten nicht auch Städte dafür sorgen, dass sich insbesondere Kinder wieder mehr „draußen“ aufhalten können? Völlig zugeparkte Straßen, wenig attraktive Spielplätze, die man in manchen Stadtteilen wirklich „suchen“ muss, machen es Eltern schon auch schwer, die Kinder „raus zu lassen“.

Mit dem „Stuttgarter Masterplan für urbane Bewegungsräume“, den wir zusammen mit dem Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung entwickelt haben, wollen wir in den nächsten Jahren genau hier ansetzen. Wir wollen Bewegung und eine bessere Aufenthaltsqualität für alle Generationen in den öffentlichen Stadtraum bringen.

In Zukunft sollen dafür schon in der Planungsphase, zum Beispiel bei der Umgestaltung von Plätzen, entsprechende Maßnahmen berücksichtigt werden. Das können kleinere Einbauten wie Slacklines, Trampoline oder Parkour-Elemente sein, die zum Ausprobieren anregen, eine besondere farbliche oder haptische Ausgestaltung der Oberflächen oder eine Geländemodellierung, die einen dazu drängt, sich zu bewegen. Im Doppelhaushalt 2020/2021 wurden uns vom Gemeinderat dafür 1,3 Millionen Euro bereitgestellt. Das heißt, wir können nun richtig loslegen.

Das heißt, auch der Stuttgarter Marktplatz wird dann bewegungsfreundlicher? Er soll ja in den kommenden beiden Jahren umgestaltet werden.

Leider waren hier die Planungen schon zu weit fortgeschritten, aber bei zukünftigen Projekten, zum Beispiel bei der Neugestaltung des Bereichs hinter der Markthalle, wollen wir unsere Ideen einbringen.

Haben Sie zum Schluss noch ein paar einfache Tipps für unsere Leserinnen und Leser, wie sie für mehr Bewegung im Familienalltag sorgen könnten?

Das Bewegungsverhalten der Kinder wird größtenteils durch die Eltern, die größten Vorbilder der Kinder, geprägt. Sitzen diese stundenlang vor dem Fernseher, gucken ständig auf das Handy oder spielen auf dem Tablet, ist es kein Wunder, wenn die Kinder ähnlich inaktiv werden. Unkontrollierte und unlimitierte Mediennutzung sind einer der größten Feinde der Bewegung. Um aktiv zu werden, benötigt es meiner Meinung nach neben den bereits oben erwähnten Beispielen auch nicht immer großer planerischer Aktionen. Und auch in der Stadt gibt es viele Möglichkeiten, aktiv mit den Kindern unterwegs zu sein. Wir spielen mit unseren Kleinen zum Beispiel während unseres Stadtteilspaziergangs immer sehr gerne verstecken. Die Kinder rennen vorne raus, verstecken sich und wir müssen sie suchen.

Rund um Stuttgart gibt es viel Wald und schöne Parks, in denen man die Kinder rennen, hüpfen und auf einem Baumstamm oder Ähnlichem balancieren lassen kann. Wenn man Roller oder Laufrad mitnimmt, kann man auch gleich eine längere Strecke zurücklegen. Wenn es den Kindern langweilig wird, wird der Weg zum „Abenteuerweg“ und schon macht der Spaziergang gleich wieder mehr Spaß.

Bei unserem Angebot „Sport im Park“, das am 29. April mit einer großen Auftaktveranstaltung auf dem Schlossplatz startet, gibt es auch viele Angebote, zu denen Familien dazu kommen und mitmachen können. Man kann aber auch ein bewegungsfreundliches Zuhause schaffen mit Matratzen, Kissen und Stoffbällen zum Toben. Oder man legt eine schöne Musik auf, die allen gefällt und fängt mit den Kindern an zu tanzen. Das sind einfache Dinge, für die nicht ein zusätzlicher Termin nötig ist und doch alle ein bisschen in Schwung bringt!

Das Bild zeigt die Amtsleiderin des Amtes für Sport und Bewegung in Stuttgart Daniela Klein, sie hat lange schwarze Haare, trägt eine weiße Bluse und einen schwarzen Cardigan darüber.

Zur Person

Daniela Klein ist „Master of Business Administration“ und bereits seit 2006 beim Amt für Sport und Bewe­gung beschäftigt.
Seit 1. Januar 2020 ist sie Amtsleiterin. Frau Klein ist verheiratet und hat zwei Kinder. In ihrer Freizeit geht sie gerne laufen, fährt Rad und ist Co-Trainerin einer Bambini-Mannschaft.

Auf dem Cover des Buches „Der kleine Sporticus“ ist ein Kind abgebildet, das vor grünen Büschen und blauem Himmel in die Luft springt und dabei auf die Kamera zeigt.

Buchtipp

Ingo Froböse, Peter Großmann: Der kleine Sporticus, Bewegungs- und Ernährungstipps, die Kinder fit machen, 256 Seiten, Beltz, 2017, 16,95 Euro, ISBN-978-3-407-86441-3
Zu dick? Zu dünn? Ist viermal die Woche zum Fußballtraining wirklich gut für Kinder? Welche Sportart passt fürs Kind? Und warum ist Alltagsbewegung so wichtig? Diesen und ähnlichen Fragen widmen sich die Autoren im Buch.