Eine blonde Frau steht mit einem Mann an der Spüle, während er abspült. Sie streiten sich.

32 Stunden Woche für Männer und Frauen

01.03.2021

Am 8. März ist der Internationale Frauentag. Jutta Allmendinger, Sozialwissenschaftlerin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) forscht seit Jahrzehnten zu Arbeitswelten, Bildung und sozialer Ungleichheit in unserem Land. Als die Coronavirus-Pandemie die Lebenssituation unzähliger Frauen zwischen Heimbüro und Herd, häuslicher Gewalt und physischer wie psychischer Überlastung im ohnehin männlich dominierten Gesellschaftsbild Deutschlands verschärfte, platzte ihr der Kragen. Sie unterstützte maßgeblich die Kampagne #ichwill, die endlich die Frauenquote auf die Tagesordnung der Bundespolitik und schließlich ins Ziel brachte. Zum Jahresbeginn erschien nun ihre Streitschrift „Es geht nur gemeinsam“ in dem sie  anhand unzähliger Fakten ein verlorenes Jahrzehnt für die Gleichstellung von Frauen in Deutschland beklagt,  aber auch Lösungen und Wege für eine diverse Gesellschaft mit starken Frauen und Männern aufzeigt. Eine Lektüre für Mütter und Väter, die Augenhöhe zulassen und allen Kindern künftig gleiche Chancen und Perspektiven ermöglichen wollen. Gründe genug, das Thema zum Start eines Wahljahres gemeinsam mit Jutta Allmendinger auf die Agenda aller Familien zu setzen.

Zu sehen ist Jutta Allmendinger.

Wie sehr haben Sie sich über den Beschluss zur Frauenquote in DAX-Unternehmen gefreut, der zum Januarbeginn kurz vor Erscheinen ihres Buches einen zentralen Inhalt zeitlich quasi überholt hat?

Ich habe mich riesig gefreut. Wir Frauen haben uns im vergangenen Herbst über verschiedenste Bereiche hinweg solidarisiert. Wir hatten den Mut, unsere Forderungen in einer viel beachteten Bundespressekonferenz klar und deutlich zu benennen. Und wir haben es wider Erwarten geschafft, dass die Koalition nun einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht hat.

 

Im Buch setzen Sie vor dem Hintergrund des Corona-Krisenjahres den viel umjubelten Siegeszug des Homeoffice mit einer Niederlage der Gleichstellung und einem Rückfall der Frauen um Jahrzehnte gleich, warum?

Ich stimme dem Jubel über das Homeoffice aus einem einfachen Grund überhaupt nicht zu: Es ist ein Rückzug ins Private. Das ist einer Gesellschaft nicht angemessen, die mit Fremden umzugehen verstehen muss und darauf angewiesen ist, einen öffentlichen Raum zu haben. Frauen haben Jahrhunderte gebraucht, um den öffentlichen Raum auch in Deutschland zugesprochen zu bekommen. Damit meine ich die Erwerbsarbeit außerhalb des Hauses, das Miteinander mit anderen, ein Stück eigenes Leben. Der mit dem Homeoffice verbundene Rückzug ins Haus stärkt das alte Muster, dass es vor allem die Frauen sind, die zu Hause für ihre Kinder und ihre Familie sorgen. Das Homeoffice vergrößert die bestehenden Lücken zwischen Frauen und Männern – die Lücke im Stundenlohn, die Lücke im Monatseinkommen, im Renteneinkommen, die Lücke in der unbezahlten Arbeit oder in Führungspositionen. Insofern verbinde ich mit dem Homeoffice deutliche Rückschritte für die Frauengleichstellung in Deutschland.

 

Sie haben im vergangenen Herbst von männlichen Journalisten für Ihre These der Retraditionalisierung der Frauen Deutschlands in der Coronakrise viel Gegenwind bekommen.

Der Gegenwind vieler männlicher Journalisten hat mich gefreut. Dabei sind Artikel nach dem Motto „Von wegen Rabenväter!“ entstanden und es wurde damit argumentiert, dass Männer doch auch mit ihren Kindern auf den Spielplätzen sind oder für die Familie einkaufen gehen. Sie haben damit unbewusst gesagt, dass eine gleichere Verteilung der unbezahlten Arbeit auch für Männer erstrebenswert ist. Insofern fand ich den Gegenwind sogar hilfreich und einen ersten Schritt zur Veränderung.

Und was ist mit Ihrer These, dass sich bei Frauen in der Krise alte Rollenbilder verstärkt haben?

Schul- und Kitaschließungen führten in der Tat zum Entzug der öffentlichen Hilfe, die Grundlage für eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist. Wir haben lange Kämpfe geführt, Kindertagesstätten für unter Dreijährige durchzusetzen. Wir kämpfen nach wie vor für Vollzeitschulen. All das und mehr wurde über Nacht zurückgedreht und ist nun wieder in weite Ferne gerückt. Ich teile auch keineswegs diesen Optimismus, dass die Coronakrise zu einer besseren Verteilung der unbezahlten Arbeit führen wird. Es wurde oft argumentiert, dass Männer in der Krise etwa bei der Betreuung der Kinder oder anderer unbezahlter Arbeit im Haushalt zugelegt hätten. Das hinterfrage ich statistisch und komme zu anderen Erkenntnissen. Wenn ich von einem niedrigen Sockel ausgehe, kann ich mich proportional natürlich mit relativ wenig Aufwand sehr stark verändern. Wenn ich von einem sehr hohen Sockel ausgehe, fällt mir das natürlich sehr schwer. Man spricht dabei von Grenzlasten, der Tag hat nur 24 Stunden. Frauen waren kaum in der Lage, dem Vielen, was sie schon zuvor an unbezahlter Arbeit leisten mussten, noch viel hinzuzulegen. Zudem habe ich hinterfragt, ob man die Verantwortung für die Pflege von Kindern oder Älteren überhaupt in Stunden und Minuten aufrechnen kann. Hier gibt es zunehmend Literatur aus der Psychologie zur sogenannten „Mental Load“. Es geht um all die unsichtbar mitgedachten Aufgaben im Alltag, ein „für alles verantwortlich sein“. Diese Verantwortung kommt fast immer den Frauen zu und kann zu extremen Belastungen führen, die sich in Stress, Schlaflosigkeit und nächtlichem Aufbleiben bis hin zu Burnout-ähnlichen Symptomen äußern. Wir sehen in Studien, dass Männer wesentlich weniger Stressphasen durch den Lockdown erlitten als Frauen. Es sind also viele Gründe, die in meinen Augen für eine Re-traditionalisierung sprechen. Das zeigen auch harte Fakten der Statistik: Frauen sind im Lockdown stärker mit ihrer Arbeitszeit nach unten gegangen, Frauen sind nach dem ersten Lockdown viel schlechter als Männer wieder in Arbeit gekommen und Frauen sagen viel häufiger als Männer, sie können in einer solchen Situation unter den in Deutschland gesetzten Rahmenbedingungen nicht mehr erwerbsfähig sein.

Sie erteilen in Ihrem Buch dem in Deutschlands Politik verankerten Paradigma der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine klare Absage, warum?

Es geht um die Perspektive. Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss für Frauen und Männer gelten. Die Männer müssen mitgedacht werden, wir brauchen eine größere Verteilung der unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen. Solange das Paradigma der Vereinbarkeit allein bei den Frauen liegt, wird auch das Homeoffice als vermeintliche Lösung nur zu einer einseitigen Mehrbelastung für Frauen führen.

 

Nun steht das „gemeinsam“ im Titel Ihres Buchs, wenn man es bis zum Ende gelesen hat, klar für mehr Bewegung bei Männern. Warum kein provokantes: „Männer, bewegt euch endlich!“?

Nachdem sich Frauen an männliche Lebensverläufe mehr und mehr herangerobbt haben, müssen wir nun eine grundsätzliche Frage stellen. Wie kann man sich ein Leben vorstellen, das bezahlte und unbezahlte Arbeit gleichmäßig auf Männer und Frauen verteilt und gleichzeitig Engagement und Raum für persönliche Weiterentwicklung und Zeit miteinander lässt? Hier komme ich zu dem Ergebnis, dass eine Vollzeit für alle nicht das Ziel sein kann – und demnach auch nicht die vollständige „Vermännlichung“ von Frauen. Erstrebenswert ist eine 32-Stundenwoche für Männer und Frauen sein, so dass Männer mit ihrer Arbeitszeit etwas herunter und Frauen etwas nach oben gehen. Es geht um Gemeinsamkeit, ein neues, ausgeglichenes Arbeitszeitmodell. Dieses würde endlich dem hohen Niveau der Frauen in Bildung und Ausbildung sowie ihrem Wunsch nach Erwerbstätigkeit entsprechen.

Jutta Allmendinger, Es geht nur gemeinsam, 107 Seiten, 12,00 Euro, VÖ: 12.1.2021 / Ullstein

Jutta Allmendinger ist mit ihrer Geduld am Ende. Seit über drei Jahrzehnten untersucht sie, wie Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern erreicht werden kann, und ihr ernüchterndes Fazit lautet: Wir bewegen uns rückwärts in die Zukunft. Corona hat die wahren gesellschaftlichen Verhältnisse wie unter einem Brennglas hervortreten lassen: Männer arbeiten, Frauen arbeiten auch und versorgen die Kinder. Männer verdienen, Frauen verdienen auch, aber bloß etwas dazu. Teilzeit und Elternzeit sind fast immer noch Frauensache, Führungspositionen und hohe Gehälter Männersache.

In dieser Streitschrift zeigt Jutta Allmendinger fundiert und faktenbasiert, was sich endlich ändern muss, damit wir echte Gleichberechtigung herstellen. Ihr Buch ist ein Fahrplan in die Zukunft, in der Geschlechtergerechtigkeit keine Forderung mehr ist, sondern ein Fakt. Drei Stunden Lesezeit für 107 Seiten, die alle Mütter und Väter ausgerechnet in diesem Wahljahr investieren sollten. Für starke Frauen und Männer – für die Zukunft unserer Kinder.